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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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weiter, er musste es tun. Eine magische, nie gekannte Kraft zwang ihn dazu. Es war, als flösse die Kraft aus Arnulfs Augen hinaus und direkt in seine Arme hinein. Ja, seine Arme bewegten sich wie von selbst.
    »Er ist es, der Gnade und Barmherzigkeit walten lässt, wenn wir Ihm gläubig dienen, Er allein! Und wenn der Mensch Ihm gottgefällig dient, so mag Er gütig zu uns sein oder auch nicht. Er mag seine Freude an uns haben oder auch nicht. Er mag Milde walten lassen oder auch nicht. Er mag mit frohem Auge sehen, wenn wir uns zu Tode geißeln, damit andere leben … Und sie leben! Alle leben, wenn auch alle den Tod der Märtyrer gestorben sind. Alle bis auf Arnulf, des Allmächtigen Zugmeister, den Anführer der Flagellanten.
Flagellare necesse est!
Geißeln, Geißeln, Geißeln tut Not! Je mehr sich einer geißelt, desto näher ist ihm das Himmelreich! Ihm und allen, für die er Schmerzen auf sich nimmt! Los, Spielmann, wirf die Geige fort und geißele dich! Arnulf will es!«
    Wie gebannt ließ Guido sein Instrument sinken. Die Augen zwangen ihn dazu. Doch irgendetwas, eine starke Barriere, ließ ihn zögern, seine Geliebte fortzuwerfen. Er spürte die Macht der Augen, die förmlich in ihn hineinkroch, doch er hielt stand. Noch …
    »Komm näher, Spielmann, komm näher, näher.«
    Guido setzte einen Fuß in die Flammen, die sofort an seinem Wams hochkletterten. Er spürte wie von fern die Hitze und machte einen zweiten Schritt.
    »
Wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen,
spricht der Allmächtige. Habe keine Furcht, Spielmann. Spüre keinen Schmerz! Und nun: Wirf die Geige ins Feuer und geißele dich! Die Geige ins Feuer!«
    Guido warf seine Geliebte fort. Er musste es tun. Aber in dem Moment, wo sie in den Flammen landete, ging eine Veränderung in ihm vor. Ihm war, als wache er aus einem bösen Traum auf. Er spürte wahnsinnigen Schmerz und wahnsinnige Wut. Beides war so stark, dass er fast die Besinnung verlor, doch bevor er starb, wollte er das verhasste Gesicht zerstören. Das Gesicht und die Augen, die ihn nicht mehr beherrschten. Er packte den Bart und riss mit letzter Kraft daran. Arnulf taumelte in den Ring, wollte wieder hinaus – und musste doch darin bleiben. Er zappelte, er schrie, aber er kam nicht los. Seine letzte Worte waren:
»Wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen …«
     
    Fabio, der zur selben Zeit Wachdienst hatte, fuhr hoch und rieb sich die Augen. Er war auf dem Abort eingeschlafen, doch nun hatte ihn irgendetwas geweckt. Ein Keuchen? Ein Stöhnen? Ein Schrei? Rasch erhob er sich von dem behelfsmäßigen Sitz, zog die Hose hoch und kam hinter dem Holzstapel hervor. Was er sah, ließ ihm den Atem stocken: Zwei Gestalten lagen lichterloh brennend im Feuer des Rings!
    Fabio lief hin, so schnell ihn seine schweren Beine trugen, doch er kam zu spät. Die Männer rührten sich nicht mehr. Ihre Körper waren gekrümmt, ihre Münder weit aufgerissen. Er musste zweimal hinsehen, um in dem einen Mann den Geigenbauer Guido zu erkennen und in dem anderen – Arnulf von Hohe. Arnulf? Wie kam der Geißler hierher? Fabio schüttelte den Kopf, als könne er dadurch das grausame Bild verjagen, doch es blieb. Da schrie er mit aller Kraft: »Cirurgicus, komm! Komm schnell!«
     
    Am anderen Morgen hoben sie zwei Gruben für die Leichname aus. Es war der Morgen des Heiligen Abends, ein trüber Tag, dessen Witterung nicht den kommenden Feierstunden entsprach. Vitus las ein paar Verse aus der Schrift und bat den Herrn, er möge den Seelen der Verstorbenen gnädig sein.
»›Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie‹,
sagt Jesus im Evangelium des Johannes«, sprach er, »und ich bin gewiss, dass beide Toten das Himmelreich erlangen werden.« Er endete mit weiteren Versen:
    »Ich bin das Licht der Welt;
    wer mir nachfolget,
    der wird nicht wandeln
    in Finsternis, sondern wird
    das Licht des Lebens haben.«
    »Amen«, riefen der Magister, Fabio und der Zwerg. Letzterer mit der warm angezogenen Nella auf dem Arm. Dann machten sie sich daran, die Gräber zuzuschaufeln. Guido gaben sie die verkohlten Reste seiner geliebten Geige mit in die Grube. Da es gegen zehn Uhr morgens war, ging Fabio anschließend wieder auf Wache – mit schlechtem Gewissen, weil er sich für den Tod der Verstorbenen verantwortlich fühlte.
    »Ich werde nie wieder auf Wache einschlafen, Cirurgicus«, rief er. »Niemals!«
    Vitus antwortete: »Mach dir nicht so viele Gedanken. Was

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