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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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festzustehen scheint. Eine alte Stoffweberin, die in der Nähe von Campodios lebt, sagte aus, sie sei in der Lage, vor Gott und der Welt zu bezeugen, dass Ihr von Eurer Mutter Jean vor dem Kloster abgelegt wurdet. Eilet also nach Campodios, amico mio, sobald es die Verhältnisse zulassen.
    Ich weiß nicht, wie es bei Euch steht, aber nach Padua drang die Kunde, die Pestis habe ihr Leben ausgehaucht. Eilet auch, weil die alte Stoffweberin an Brustfraß erkrankt ist und ihre Tage gezählt sind.
    Achtet auf Euch und Eure Freunde. Wie immer bin ich
    Euer ergebener
    M. Girolamo
    Vitus ließ das Papier sinken. Sein fassungsloses Gesicht machte den Magister neugierig. Der kleine Gelehrte fragte: »Na, und? Was steht drin?«
    »Ich kann es kaum glauben.«
    »Was kannst du nicht glauben? Spann mich nicht so aufs Streckbett, altes Unkraut!«
    »Lies selbst.« Vitus übergab den Brief.
    Der Magister las, und während er das tat, blinzelte er mehr und mehr. Schließlich rief er: »Großartig! Das ist ja großartig! Habe ich es nicht immer gesagt? Irgendwann wird der Beweis erbracht werden. Nun ist es also schon fast amtlich: Du bist ein Lord. Lord Collincourt! Und alle Neider und Erbschleicher, ich denke da besonders an diesen durchtriebenen Advocatus Hornstaple, werden verstummen! Wann brechen wir auf nach Spanien?«
    Vitus wehrte ab. »Ich weiß nicht. Die zwei Monate Quarantäne sind doch noch gar nicht …«
    »Ach, was! Du hast doch selbst gelesen, dass man in Padua der Meinung ist, die Pestis habe sich totgelaufen.«
    »Padua ist weit.«
    »Nun mach aber mal einen Punkt.« Der Magister stellte sich, die Hände in die Hüften gestemmt, vor seinen Freund. »Ich erkenne dich nicht wieder! Wo ist dein Tatendrang geblieben?«
    »Ich fühle mich eben für euch alle verantwortlich. Es sind schon genug Menschen gestorben, besonders, wenn ich an Antonella denke. Es ist allein meine Schuld …«
    »Unsinn! Keine Selbstbemitleidung, bitte! Du hast getan, was du tun konntest, und das war mehr als genug. Im Übrigen glaube auch ich, dass die Schlange Pest verendet ist. Erinnerst du dich an die singende Menschengruppe, die vor ein paar Tagen an unserem Feuerkreis vorüberzog? Es waren Gläubige auf dem Weg zur Kirche; sie wollten in der Zeit des Advents den Allmächtigen preisen. Festlich gekleidete Gläubige waren es. Ich frage dich: Sehen so Pestkranke aus?«
    Der Magister holte tief Luft. Seine Worte sprudelten jetzt wie ein Wasserfall. »Und dann der verblendete Arnulf: Als er hier erschien, war er völlig allein. Kein einziger seiner frommen Männer war noch bei ihm. Warum wohl? Nicht, weil alle von der Pestilenz dahingerafft worden waren, sondern weil keine Notwendigkeit mehr bestand, sich wegen der Seuche zu geißeln. Die Leute sind nach Hause gegangen, zu Weib und Kind und Haus und Hof. Es gab die Seuche nicht mehr. Und es gibt sie nicht mehr. Die Pestis ist tot, wir aber leben. Hurra!«
    Er riss die Arme hoch und umarmte Vitus. »Hurra! Nun freu dich doch endlich!«
     
    Am selben Abend feierten sie die Geburt des Heilands, wobei die Begleitumstände, in denen sie es taten, ähnlich einfach waren wie jene vor fast eintausendsechshundert Jahren in Bethlehem. Allerdings saßen sie nicht in einem Stall, sondern in einem Zelt, und ihr Neugeborenes war kein Knabe, sondern ein Mädchen. Auch waren kein Ochs und kein Esel in ihrer Mitte, dafür aber eine Ziege und eine Taube.
    »Ich weiß nicht, ich weiß nicht, ob die Geiß hier wirklich etwas zu suchen hat«, brummte der Magister.
    »Gickgack!«, fistelte der Zwerg. »’s is Weihnachten, un Bartmann gehört dazu, nich, Bartmann?« Er kraulte der Ziege das Kinn, wandte sich aber sogleich wieder Nella zu und sprach ein Gedicht:
    »Mein Schäfchen!
    Machst’n Schläfchen?
    Lullst fein?
    So soll’s sein!«
    Er nahm die Kleine und wiegte sie in den Armen. »Dein Altlatz is bei dir, nich, killekille? Gleich gibt’s was aus’m Milchgeschirr, wui?«
    Fabio trat schwungvoll ins Zelt, in den Pranken die große Schüssel, aus der es überirdisch gut duftete. Seitdem er wusste, dass es am nächsten Morgen heimgehen sollte, sprühte er wieder vor guter Laune. »Gemüsesuppe mit Fleischklößchen!«, verkündete er, »
bellissimo,
ich habe mich selbst übertroffen.«
    Beim Schein zweier Laternen ließen sie es sich schmecken, der Zwerg allerdings erst, nachdem er Nella das Klistier gegeben hatte. Die Ziege bekam etwas aus dem Dinkelsack und Bussola ein paar handverlesene

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