Die Mission des Wanderchirurgen
sind.
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Der Jakobspilger Ernesto
»Nun, die Ursache für meine Schwierigkeiten
dürfte ebenso lächerlich wie schmerzhaft sein:
Ich fürchte, es ist ein Hühnerauge.«
P ater Ernesto sah eine kleine Menschengruppe über den Hügelkamm kommen. Sie näherte sich ihm Schritt für Schritt und bestand, soweit er erkennen konnte, aus zwei Männern, einem Zwerg, einem Säugling und einer Ziege.
Der Zwerg ging voran. Er trug das Kind in einem Tuch vor der Brust. Der kleinere der beiden Männer war mit einem Felleisen und schwerem Zeltgestänge beladen, außerdem führte er die Ziege an einem Strick. Der Größte von ihnen, ein blonder barhäuptiger Bursche, hatte sich eine Kiepe auf den Rücken geschnallt. Dazu trug er einen Stecken quer über den Schultern. Fast hätte man meinen können, der Heiland am Kreuz schritte vom Berge Golgatha herab.
Pater Ernesto rieb sich die Augen. Er hatte auf seiner Wanderschaft schon viele seltsame Gestalten getroffen, aber diese Gruppe schien etwas Besonderes zu sein. Da er von neugierigem Wesen war, beschloss er, sie näher kommen zu lassen und sie anzusprechen. Er bekreuzigte sich vor einem Madonnenbild am Wegesrand und setzte sich auf die steinerne Bank darunter. Sein Marschgepäck legte er neben sich. Fröstelnd rieb er die Hände aneinander. Es war alles andere als warm an diesem Märztag des Jahres 1580, und im Gegensatz zur Meinung vieler war Aragon kein ewig warmer Landstrich, sondern bitterkalt. Zwar lag kein Schnee, und auch die Seen und Bäche waren nicht zugefroren, aber der Wind konnte einem gehörig durch Mark und Bein blasen.
Abermals rieb der Pater sich die Augen. Es waren hellwache, kluge Augen, die in einem Gespinst aus Falten und Fältchen saßen und zu dem gütigen Ausdruck seines Gesichts beitrugen.
Langsam schloss die Gruppe zu ihm auf. Ihr Tempo wurde von der Ziege bestimmt, die hin und wieder verweilte und das kümmerliche Gras am Wege fraß.
Ernesto überlegte, ob es sich wohl um Spielleute oder Gaukler handelte, aber dagegen sprach, dass sie ohne Wohnwagen unterwegs waren. Drei Männer und ein Säugling. Welch bemerkenswerte Zusammensetzung! Wo war die Mutter des Kindes? Die Ziege, das dämmerte ihm langsam, war offenbar die Nahrungsquelle für das Kleine. »Hallo,
pax Domini vobiscum
und Gott zum Gruße!«, rief er, sich erhebend. »Ihr habt euch zum Marschieren nicht gerade die beste Jahreszeit ausgesucht.«
Der kleinere Mann, der mit dem Zeltgestänge und der Ziege, blinzelte durch ein Nasengestell und antwortete: »Ihr aber auch nicht, Pater. Wohin des Wegs?«
»Ich pilgere nach Santiago de Compostela.« Der Gottesmann machte eine weit ausholende Geste. »Den uralten Jakobspfad von Osten nach Westen. Weiter, weiter, immer weiter! Allerdings bin ich nicht sehr gut zu Fuß. Doch was soll’s, Jesus, unser aller Erretter, konnte sogar über das Wasser schreiten, da werde ich wohl die Wanderung zu einer heiligen Stätte durchstehen. Und ihr, meine Söhne?«
Diesmal gab der Blonde Auskunft: »Wir reisen nach Campodios, dem Zisterzienserkloster in der Sierra de la Demanda, Pater.«
»Nach Campodios?« Ernesto stützte sich auf seinen Jakobsstab. »Ich habe viel davon gehört. Es soll noch schöner sein als die Klöster Yuso und Suso, die auf meinem Wege liegen.«
Der Blonde lächelte. »Dem will ich nicht widersprechen. Ich verbrachte dort die ersten zwanzig Jahre meines Lebens.«
»Die ersten zwanzig Jahre? Dann bist du oder, äh, wart Ihr ein Bruder im Herrn?«
Der Blonde lächelte noch immer. »Ich denke, es ist Zeit, sich gegenseitig vorzustellen. Ich nenne mich Vitus von Campodios und bin Cirurgicus, denn diese Ausbildung habe ich im Kloster erfahren, das ist Ramiro García, ein Magister der Jurisprudenz, und das Enano, der Zwerg, der unserer kleinen Nella Vater und Mutter ersetzt.«
Enano fistelte: »Glatten Schein un kronig Jamm, Kuttengeier! Nu, wie strömt’s?«
»Äh, wie bitte?«
»’s is Rotwelsch, Herr Himmelsfechter, die Sprache der Wolkenschieber un Zitronenschleifer. Hab Euch die Tageszeit entboten un nach dem werten Befinden gefragt.«
»So weit gut, danke. Nun ja, ihr drei seid, wenn ich so sagen darf, ein außerordentliches Fähnlein«, erwiderte Ernesto, dem als zusätzliche Absonderlichkeit aufgefallen war, dass alle Männer gelbe pantoffelähnliche Schuhe trugen. »Doch bevor ich euch ausfrage, gebietet es die Höflichkeit, mich selbst bekannt zu machen: Ich bin Pater Ernesto aus Roncesvalles, einem kleinen Dorf in den
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