Die Mission des Wanderchirurgen
könne sich erkälten. Natürlich willigte ich ein, zumal unsere Holzvorräte nach wie vor reichlich sind. Nicht einmal die Hälfte haben wir bisher verbraucht.
Fabios Weinerlichkeit hat sich gebessert, nachdem er für uns alle kocht. Er tut es mit Hingabe und Einfallsreichtum. Wir alle staunen, wie viel er aus so wenig macht.
Auch Guido hat sich etwas gefangen. Zwar hütet er seine Geige noch immer in einem völlig übertriebenen Maße, aber nachdem ich ihm deutlich machte, er müsse sie häufiger spielen, damit ihr Körper nicht an Substanz verliere, wirkt er ausgeglichener. Sein eigenes Spiel scheint ihn zu beruhigen.
Bussola ist inzwischen schon wieder fort. Ich bin gespannt, ob sie heil und gesund zurückkommt, und frage mich, ob dann ein Schreiben des Professors für mich dabei ist.
Ich hoffe, unser Seelenzustand bleibt einigermaßen stabil.
Das Wetter hielt sich. Der Dezember war regenarm und vergleichsweise mild – ein Geschenk für Männer, die zwischen sich und den Naturgewalten nur eine dünne Zeltplane hatten.
Nach dem Überfall durch die Räuber waren sie ein paar Tage verstärkt Wache gegangen, aber da nicht das geringste Zeichen für ein neuerliches Auftauchen der Schurken sprach, gingen sie alsbald wieder zu ihren normalen Runden über. Die Tage waren jetzt sehr kurz, die Nächte dafür umso länger.
Eine gewisse Abfolge des Tages hatte sich entwickelt:
Bei Tagesanbruch, wenn der Magister von der Streife zurückkam, traf er auf Guido, der mit seiner Geige vor das Männerzelt getreten war. Beide hielten ein Schwätzchen, woraufhin der kleine Gelehrte im Zelt verschwand, um sich noch ein wenig aufs Ohr zu legen, und Guido seine Geige ansetzte, um ihre Körperlichkeit zu ertüchtigen. Er tat dies mit der ernsthaften Begründung, seine Geige wolle gespielt werden, ja, es verlange sie sogar danach.
Fabio hatte unterdessen seine Runden begonnen, von denen er um zwölf zurückkam. Vitus, der vormittags nach dem Zwerg und Nella sah, hatte dann schon alles vorbereitet, damit Fabio seine Kochkünste entfalten konnte. Während Vitus bis vier auf Wache war, aßen Fabio, der Magister und Guido. Der Zwerg hielt selten mit, weil er die Kleine ungern allein ließ. Guido spielte nach dem Mittagsmahl erneut auf, ebenso noch einmal bei Dunkelwerden.
Dieses tat er auch am dreiundzwanzigsten Dezember, dem Tag vor dem Heiligen Abend. Es herrschte wieder böiger Wind, der die Flammen des Feuerrings hochzüngeln ließ und die Töne weit über das Land trug. Guido spielte selbstvergessen, denn er spürte den Leib seiner Geliebten unter den Fingern. Wie stets lauschte er der eigenen Melodie mit geschlossenen Augen, doch als er diese für einen Moment öffnete, glaubte er, durch die Flammen etwas Seltsames zu erkennen: die Gesichtszüge eines bärtigen, ausgezehrten Mannes, näher kommend und sich wieder entfernend, sich ständig verändernd in Licht und Schatten. Ein Trugbild? Ein Traum? Nein, denn jetzt sprach das Gesicht:
»
Dem Herrn, dem Gott Israels will ich spielen
, so heißt es in der Heiligen Schrift! Spiele weiter, mein Sohn, spiele weiter für mich, auf dass du durch mich ergötzest und durch mich errettet werdest!«
Guido lief ein Schauer über den Rücken. Er schloss die Augen. Das Gesicht war immer noch da.
»Spiele weiter!«
Guido öffnete die Augen und gehorchte, wenn auch mit zittrigen Fingern. War ihm soeben der Herrgott begegnet?
»›Und der Herr zog des Nachts in einer Feuersäule …‹,
so steht es ferner geschrieben. Spiele weiter!« Die Stimme klang befehlsgewohnt.
»Ja, Herr, du Allmächtiger.« Guido führte den Bogen auf und ab.
»So ist es gut.« Das Gesicht begann wieder, sich zu bewegen. Lag es nur an den Flammen, oder regte es sich tatsächlich? »So ist es gut! Spiele, spiele, spiele! Singe, singe, singe das Lied zu Ehren des großen Zebaoth!«
Und der Mund des Allmächtigen öffnete sich, und er sang:
»Oh, Herr, Du strenger Christengott,
Du Schöpfer aller Welten.
Du machtvoller Herr Zebaoth,
Dir wollen wir’s vergelten …«
Erst jetzt erkannte Guido, mit wem er es zu tun hatte: Es war der besessene Arnulf von Hohe. Umgehend setzte er den Bogen ab, doch der Geißler herrschte ihn an:
»Spiele weiter, Spielmann, wenn deine arme Seele nicht zur Hölle fahren will! Erfreue den Herrn und danke ihm. Denn Er allein bestimmt über Leben und Tod. Er allein ist es, der Kranke heilt, Er allein, Er, der allmächtige, der erhabene, alleswissende Gott!«
Guido spielte
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