Die Mission des Wanderchirurgen
Sonnenblumenkerne.
Schmausend meinte der Magister: »Ich kann es noch gar nicht fassen, Freunde, dass wir morgen nicht mehr in diesem Rauchring hausen müssen. Wie habe ich mich danach gesehnt, diesem Fleckchen Erde den Rücken kehren zu dürfen! Nun ja, wir gehen zunächst nach Barcelona, und du, Fabio, fährst zurück nach Padua. Wie pflege ich immer zu sagen? Abschiedsschmerz ist der schönste Schmerz! Grüße mir dein Weib unbekannterweise.« Er legte den Löffel beiseite. »Ach, Galizien, Spanien, Iberische Halbinsel! Wie habt ihr mir gefehlt!«
Vitus lachte. Es hatte eine Weile gedauert, bis ihm das Schreiben des Professors in allen seinen Punkten klar geworden war, bis er die ganze Tragweite der Zeilen begriffen hatte, aber nun freute er sich mit jeder Faser seines Herzens und sehnte sich zurück nach Hause, wobei er damit sowohl das Kloster Campodios als auch das Schloss Greenvale Castle meinte – Greenvale Castle, den alten Herrensitz, der ihm mit Gottes Hilfe bald auch offiziell zugesprochen werden würde.
Der Magister aß schon wieder weiter. »Weißt du eigentlich, Fabio«, rief er, »dass du es bei dem Cirurgicus mit einem echten Lord zu tun hast?«
»Lass doch«, rief Vitus, »ich möchte jetzt …«
Aber er konnte seinen Satz nicht vollenden, denn der kleine Gelehrte ließ ihn nicht zu Worte kommen. Temperamentvoll schilderte er die ganze Geschichte von dem Findelkind in der roten Damastdecke mit dem goldenen Wappen, von dem Jüngling und seiner klösterlichen Ausbildung und von der langen Suche nach der Herkunft, die schließlich auf einem südenglischen Adelssitz geendet hatte.
Fabio kam aus dem Staunen nicht heraus, und als der kleine Gelehrte schließlich fertig war, machte sich Verlegenheit auf seinem Gesicht breit.
»Dio mio«,
seufzte er, »jetzt weiß ich gar nicht mehr, wie ich den Cirurgicus anreden soll!
Barone, Conte, Duca,
oder wie beliebt es?«
»Es bleibt nach wie vor bei Cirurgicus«, sagte Vitus, dem es gar nicht recht war, dass der Magister die ganze Geschichte vor Fabio ausgebreitet hatte. »Kommen wir lieber zu dem, was viel wichtiger ist: Ich werde die Weihnachtsgeschichte aus dem Lukas-Evangelium vorlesen:
Es begab sich aber zu der Zeit,
dass ein Gebot vom Kaiser Augustus ausging,
dass alle Welt geschätzet würde.
Und diese Schätzung war die allererste
und geschah zu der Zeit,
da Cyrenius Landpfleger in Syrien war …«
Der Abend war noch lang, und sie sangen viel und beteten und lachten und tranken den letzten Roten, den Fabio bis dahin wie seinen Augapfel gehütet hatte.
Schließlich gähnte der Zwerg herzhaft, streichelte die kleine Nella, die satt und zufrieden in seinen Armen schlummerte, und fistelte: »’s is Zeit, ihr Gacken.«
Im Feuerring,
Freitag, 25. Tag des Monats Dezember, A. D. 1579
Heute am Weihnachtstag ist es so weit: Wir werden unseren Schutzring endlich verlassen. Das Feuer ist erloschen, ebenso wie die Pestis, wenn man den Anzeichen und Deutungen Glauben schenken darf. Es ist, als hätte der Allmächtige uns zur Geburt seines Sohnes eine besondere Freude machen wollen.
Die Zelte sind abgebrochen, die Gerätschaften verstaut, das verbliebene Pferd ist wieder eingefangen. Bevor Fabio und wir einander Lebewohl sagen, will er seine Schöne, seine Holde mit einer Nachricht in die Lüfte steigen lassen. Sein Weib Miabella soll wissen, dass er auf direktem Wege nach Padua ist.
Ich selbst habe bereits einen Brief an Professor Girolamo aufgesetzt, in dem ich mich für alle seine Bemühungen bedanke, besonders aber für die gute Kunde, die er mir hat zukommen lassen. Ich habe ihm mitgeteilt, dass der Magister, der Zwerg, die kleine Nella und ich über Genua per Schiff nach Barcelona reisen wollen und von dort aus weiter zu meinem alten Heimatkloster. Es wird wohl keine leichte Fahrt werden, denn es ist Winterzeit, und die Ziege als Milchlieferantin haben wir auch noch dabei.
Ich bat den Professor, die beiden an mich gerichteten Schreiben nach Campodios zu Händen von Pater Thomas zu schicken und gleichzeitig mein Eintreffen anzukündigen. Sollte ich früher da sein als die Post – umso besser.
Gleich wird Fabio mit seiner Nachricht fertig sein, und ich werde ihn bitten, die meine mit an Bussolas Bein zu binden. Dann heißt es für immer Abschied nehmen.
Ich weiß nicht, wann ich wieder dazu kommen werde, eine Eintragung zu machen. Wahrscheinlich erst wieder in Spanien.
Ich hoffe und bete, dass wir der Pestis dann endgültig entkommen
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