Die Mission des Wanderchirurgen
meiner Mutter. Du wirst ihn eines Tages tragen, aber ich gebe ihn dir schon heute.«
»Oh, Vitus, ist das dein Ernst?« Nina griff nach dem kostbaren Stück. »Ist das wirklich dein Ernst?«
»Ja, nie war mir etwas wichtiger.«
Für einen Moment sah es so aus, als würde Nina vor Glück wieder zu weinen beginnen, doch dann fasste sie sich und sagte: »Ich werde den Ring verwahren, bis du Vater fragst, ja, das werde ich.«
»Morgen Abend, wenn er vom Felde gekommen ist und ihr gegessen habt, dann werde ich da sein.«
»Oh, Vitus, Vitus, ich kann es kaum erwarten. Wenn morgen früh doch nur Schule wäre, dann könnten wir uns vorher noch sehen.«
»Wir müssen stark sein und es so lange aushalten.«
»Ja, du hast Recht. Hoffentlich sieht man mir mein Glück nicht an der Nasenspitze an. Es soll doch eine Überraschung sein.« Sie küsste ihn.
Er küsste sie.
Sie blickten sich lange in die Augen, und jeder sah beim anderen den Funken der Leidenschaft darin glimmen.
Dann trennten sie sich, nur um gleich darauf einander nochmals zu umarmen. Sie lachten und gingen abermals auseinander – und kamen wieder zusammen. So ging es noch mehrere Male, bis sie endlich doch voneinander lassen mussten. Das Gewitter war mittlerweile abgezogen, und die ersten Sonnenstrahlen brachen durch die Wolken.
Sie hatten es nicht bemerkt.
»Nimm’s mir nicht übel, altes Unkraut, aber dein Gesichtsausdruck gemahnt mich an den eines Kalbs.« Der Magister lag auf seiner Pritsche in der gemeinsamen Zelle und schielte zu Vitus hinüber. »Der neue Tag lockt, die Prim ist gleich um, und du lächelst in einem fort, als verstündest du die Welt nicht mehr.«
»Ich kann es auch noch immer nicht ganz verstehen.«
Der kleine Mann richtete sich auf. »Hör mal, heißt das etwa, dass du … ich meine, dass du und Nina endlich …?«
Vitus’ Augen leuchteten. »Ja, mein Alter, das heißt es. Wie so oft hast du die Dinge, die mich betreffen, früher erkannt als ich selbst.«
»Beim Blute Christi! Das ist aber mal eine gute Nachricht! Erzähle!«
Und Vitus berichtete, was sich am gestrigen Tage während des Gewitters abgespielt hatte. Der Magister hörte so gespannt zu, dass er gar nicht bemerkte, wie er sein Nasengestell fortlaufend auf- und absetzte. Schließlich rief er aus:
»Orantes wird Bauklötze staunen, wenn er hört, dass seine Älteste demnächst eine Lady wird. Wollen nur hoffen, dass so viel Glück der lieben Ana nicht gleich wieder auf den Magen schlägt. Ach, was rede ich. Natürlich nicht! Die Gute wird mächtig stolz sein, genauso wie der Herr Papa. Was mir bei der Gelegenheit einfällt: Wieso hast du mir und dem Zwerg die frohe Kunde bisher verschwiegen?«
Vitus machte eine vielsagende Geste. »Um ehrlich zu sein: Ich konnte es selbst nicht ganz glauben und musste eine Zeit lang allein sein. Aber jetzt, wo ich eine Nacht darüber geschlafen habe …«
»Was? Du konntest schlafen angesichts dieses ungeheuren Glücks?«
»Nein, natürlich nicht. Ich habe es nur im übertragenen Sinn gemeint. Also, jetzt, wo eine Nacht vergangen ist, fange ich allmählich an, es wirklich zu glauben.«
»Na, großartig! Wann erzählen wir es den anderen? Abt Gaudeck, Thomas und erst recht der dicke Cullus werden Augen machen. Natürlich werden sie gleich wissen wollen, wo die Hochzeit stattfinden soll, ob hier oder in England. Wenn du mich fragst, lieber hier. Es ist wärmer in Spanien als auf der kühlen Insel, das sage ich dir als Einheimischer, auch denke ich, dass die Feierlichkeiten hier prächtiger ausfallen dürften. Wir müssten nur überlegen, wo ihr wohnt, denn im Kloster geht es wohl schlecht, und in Orantes’ Haus ist es viel zu beengt.«
Vitus hob die Hand. »Jetzt gehen die Gäule aber mit dir durch, du Unkraut! Alles zu seiner Zeit und Schritt für Schritt. Natürlich habe ich mir das auch schon durch den Kopf gehen lassen, wenn ich ehrlich bin, sogar die ganze Nacht über, und ich bin zu folgendem Ergebnis gekommen: Ich möchte Nina lieber auf Greenvale Castle heiraten. Den Bediensteten und dem Gesinde würde ich dadurch Gelegenheit geben, an einem großen Fest teilzunehmen, und, noch wichtiger, alle hätten das Gefühl, durch ihre Teilnahme die neue Herrin zu dem zu machen, was sie fortan sein wird – Lady Nina, meine Frau.«
»Und Orantes? Soll der hier bleiben, oder willst du ihn mitsamt seiner Familie nach England verschiffen? Das dürfte eine hübsche Stange Geld kosten.«
Vitus kratzte sich am Kopf und
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