Die Mission des Wanderchirurgen
wieder und wieder küsste. Und mit jeder Berührung ihrer beider Lippen kam er einem nie gekannten Glück näher. Trauer, Schmerzen, Ängste, Nöte, Gefahren, jegliche Art von Ungemach schien in diesem Augenblick lächerlich klein, unbedeutend, fern wie ein Segel am äußersten Horizont. »Nina, o Nina!« Der Gipfel des Glücks, er hatte ihn erreicht, und er würde ihn nie wieder aufgeben.
Ihr schien es ganz ähnlich zu ergehen, denn sie hielt ihn ebenfalls umschlungen und drückte ihn an sich mit der ganzen Kraft ihrer Jugend, seine Küsse atemlos erwidernd und gleichzeitig immer neue fordernd.
Endlich gaben sie einander frei, fast staunend über den Ausbruch ihrer Leidenschaft, doch währte der Augenblick nicht lange, denn schon schmiegte sie sich wieder an ihn, strich ihm eine blonde Haarsträhne aus der Stirn und begann abermals, ihn zu küssen. »Du Dummer«, flüsterte sie, »du Dummer, warum hast du nur so lange gebraucht, um zu merken, dass ich dich liebe?«
»Ja, ich bin ein arger Tölpel.« Er zog sie wieder an sich. »Es ist wohl so, dass ich es mir selbst nicht eingestehen wollte. Warum, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich ein ziemlicher Hornochse war. Dafür sage ich es jetzt ganz laut: Ich liebe dich auch, Nina, ich kann gar nicht sagen, wie sehr. Und ich werde dich niemals wieder loslassen!«
»Oh …!«
Zu seinem grenzenlosen Schrecken sah er, wie die Bernsteinsprenkel aus ihren Pupillen verschwanden und ihre Augen sich mit Tränen füllten. »Um Gottes willen, was ist passiert? Habe ich etwas Falsches gesagt?«
»Nein, nein.« Nina schluchzte auf, schniefte und versuchte zu lächeln.
Er nestelte ein Tuch hervor und trocknete ihr die Tränen. »Aber was ist denn nur? Eben warst du noch so glücklich, und jetzt weinst du.«
»Oh, du Dummer, du verstehst wirklich nichts von Frauen. Ich weine doch nur aus Freude. Bitte sage noch einmal, dass du mich liebst.«
»Ich liebe dich, so wahr ich hier stehe, und ich erkläre feierlich, dass es immer so sein wird!«
Sie lächelte. »Wenn du wüsstest, wie lange mein Herz für dich schlägt! Schon damals, als du mit dem Magister zu uns auf den Hof kamst, habe ich dich ständig angehimmelt. Genau genommen sogar noch früher. Erinnerst du dich, wo wir uns zum allerersten Mal gesehen haben? Es war auf einem von Vaters Feldern, als du und der alte Emilio plötzlich auftauchten. Vater stellte uns alle vor, und als die Reihe an mir war, wäre ich am liebsten im Boden versunken, so ein Herzklopfen hatte ich. Aber du hast es selbstverständlich nicht gemerkt. Niemand hat es gemerkt, nicht einmal Mutter. Alle dachten ja, ich wäre noch ein kleines Mädchen von vierzehn Jahren, doch ich fühlte mich schon recht erwachsen. Jedenfalls erwachsen genug, um furchtbar an Liebeskummer zu leiden. Tagelang habe ich mir die Augen ausgeheult, als du später mit den Gauklern fortgingst. Ich dachte, ich würde dich nie wiedersehen. Und dann, eines Tages, warst du doch zurück. Ich wollte dich unbedingt haben, mein Gott, was habe ich nur alles angestellt, um dich für mich zu gewinnen, habe deine Hand beim Unterricht genommen und sie gehalten, meinen Kopf ständig in deine Nähe gebracht, ja, sogar geküsst habe ich dich einmal. Ich kam mir zeitweise vor wie eine Schlampe.«
»Großer Gott, und ich habe von alledem nichts gemerkt. Wenn ich das gewusst hätte!«
»Sag es noch einmal!«
»Was? Ach so: Ja, ich liebe dich. Ich liebe dich wahrhaftig, Nina Orantes!«
»Oh, Gott, was Vater wohl sagt, wenn er erfährt, dass wir beide … Mutter wird sich bestimmt freuen, ich kenne sie. Aber Vater?«
»Er wird einverstanden sein. Schließlich meine ich es ernst.«
»Wie ernst?«
Er lachte. »Du willst es ganz genau wissen, nicht? Nun, so ernst immerhin, dass ich schon morgen deine Eltern um deine Hand bitten werde.«
»Oh, Liebster, Liebster!« Sie überschüttete ihn mit kleinen Küssen. »Dies ist der schönste Tag in meinem Leben! Wenn du mich wirklich willst, werde ich wohl bald in einem Schloss leben müssen? Ein wenig Angst davor habe ich schon. All die vielen Diener. Es wird bestimmt furchtbar aufregend.«
»Halb so schlimm. Engländer sind auch Menschen. Teilweise ein wenig verschroben und eigenwillig, aber sehr liebenswert, du siehst es ja an mir.«
Sie lachte und kuschelte sich an ihn.
»Warte, ich habe eine Idee. Ich gebe dir ein Unterpfand für mein Versprechen.« Er grub in seiner Gürteltasche und holte Jeans goldenen Wappenring hervor. »Das ist der Ring
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