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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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brauchen.
    »Ich danke dir«, sagte die Dienerin abermals. Natürlich hatte sie den Hadschi und seine Absicht durchschaut, dennoch war sie froh über den höflichen, ja fast freundlichen Ton des Mannes. Sie überprüfte den Sitz ihres Schleiers und nickte ihm zu. Dann ging sie zu der Stelle, wo die Sklaven sich hingehockt hatten. Ein kurzer Blick sagte ihr, dass alle noch an den Händen gebunden waren. Sie wirkten sehr erschöpft und lechzten nach Wasser. Rabia fiel ein, wie durstig sie selber war, und ein Gefühl des Mitleids überkam sie. Sicher, es waren Ungläubige, die nicht auf einer Stufe mit all jenen standen, die des Großen Propheten Lehre priesen, doch waren es ebenfalls Menschen.
    Sie schritt zurück zu ihrem Kamel und holte den Ziegenschlauch. »Hier, trinkt«, sagte sie. »Aber trinkt langsam und nicht zu viel.« Sie wusste, dass sie damit ein Verbot ihrer Gebieterin missachtete, aber das war ihr in diesem Moment egal. Âmina Efsânehs Arm reichte weit, aber bis an den Rand der Wüste reichte er nicht.
    Die Männer murmelten einen Dank. Kaum einer sah auf zu ihr, denn alle starrten wie gebannt auf das Behältnis mit dem kostbaren Inhalt. Sie tranken nacheinander, und sie taten es mit einer Gier, wie wenn Ertrinkende nach Luft schnappen. Als Letzte bedienten sich der Cirurgicus und der Magister. Rabia sah, dass nur noch wenig Flüssigkeit im Schlauch war und fragte sich gerade besorgt, ob für sie selbst noch etwas übrig bliebe, da blinzelte der kleine Geschichtenerzähler und krächzte:
    »Ich habe das Gefühl, du hast selbst noch nichts gehabt, Rabia, was?«
    »Nein«, sagte sie zögernd.
    »Großer Gott!« Der Magister rappelte sich auf. »Wie eigennützig von uns! Ich werde sofort zu den Treibern gehen und den Schlauch wieder füllen lassen.«
    Rabia nickte zum Dank.
    Unvermittelt fragte der Cirurgicus: »Willst du uns nicht doch sagen, was mit uns in Fez geschehen soll?«
    Rabia schüttelte den Kopf. Die Sklaven würden noch früh genug erfahren, welch grauenvolle Fronarbeit auf sie wartete. Wenn sie es jetzt schon wüssten, dachte sie, wäre die Gefahr, dass sie zu fliehen versuchten, viel größer. Dabei hatte, wer in dieser Gegend floh, nicht den Hauch einer Überlebenschance. Schon mehrfach hatte sie das den Gefangenen gesagt und hoffte, sie würden es beherzigen. »Ich gehe jetzt hinüber zu meinem Zelt.«
    Fast hätte sie eine gute Nacht gewünscht und sich bei ihren Worten verbeugt, wie es sich für eine junge Frau geziemte, die fremden Männern gegenübersteht, doch dann fiel ihr ein, dass es ja Sklaven waren, und sie wandte sich ab.
    Das Feuer prasselte schon kräftig, als sie bei ihrem Lagerplatz ankam. Auch das Zelt war bereits errichtet und ihre wenige Habe darin verstaut. Die Treiber hatten ganze Arbeit geleistet. Sie setzte sich ans Feuer und streckte die Hände aus, um sie zu wärmen. Die Sonne war soeben im Westen untergegangen, und wie immer wurde es in der Wüste rasch kalt. Sie stellte fest, dass der Platz ihres Zeltes gut gewählt war, da der Wind durch die Steinfelsen im Hintergrund abgefangen wurde. Alles schien gut. Sie dachte daran, dass sie in absehbarer Zeit wieder in Tanger sein würde, der Stadt, die ihr zur zweiten Heimat geworden war, und fragte sich zum wiederholten Male, warum die Gebieterin ausgerechnet sie mit der Überwachung der Sklaven betraut hatte. Es gab doch Männer in ihrem Hausstand, die so etwas viel besser konnten. Bewährte Diener. Warum nicht die? Sie überlegte. Vielleicht, weil Âmina Efsâneh befürchtete, sie würden nicht wiederkommen. Die Herrin war klug genug, um zu wissen, dass sie nicht sehr beliebt war beim Gesinde. Wenn nicht gar verhasst. Auch Rabia mochte die Gebieterin nicht sonderlich, obwohl es ihr in dem herrlichen Hauspalast an nichts mangelte. Sie hatte eine eigene Kammer, bekam regelmäßig zu essen und vertrug sich gut mit den anderen Bediensteten.
    Warum nur hatte die Gebieterin sie nach Fez geschickt? Wieso hatte sie keine Sorge, dass ihre Dienerin nicht zurückkommen würde?
    Und dann fiel es Rabia wieder ein. Weil Ahmad da war, ihr jüngerer Bruder und einziger Verwandter, den sie liebte wie sonst niemanden auf der Welt. Das war es also. Sie war die Einzige mit einem nahen Verwandten im Hause der Herrin. Sie war die Einzige, die erpressbar war. Deshalb also reiste sie nach Fez!
    Rabia schluckte und wurde sich erneut ihres Durstes bewusst.
    »Hier ist dein Ziegenschlauch.« So plötzlich wie ein Dschinn aus der Flasche stand der

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