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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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höhnisch, und Âmina Efsâneh ließ sich zu einer Antwort herab.
    »Wie du dir denken kannst, wollte ich von Anfang an nur den Blonden, diesen Möchtegern-Lord. Es gefiel mir keineswegs, dass er nicht mehr die Galeerenbank drückt, und ich wollte dafür sorgen, dass ihm erneut die Fußeisen angelegt werden. Doch dann kam das alberne, unnötige Gefeilsche um seinen Preis.«
    »Oh, Gebieterin!«, rief Rabia etwas außer Atem, denn sie hatte unterdessen mehrere schwatzende, im Wege stehende Männer umrunden müssen, bevor sie wieder aufschließen konnte. »Aber die Summe, die dein Gemahl zahlen muss, ist unermesslich hoch!«
    »Ja, ja, ja.« Die Weidengerte erschien im Fenster und bearbeitete den Rahmen. »Sie ist nicht gerade klein. Aber dafür habe ich nicht nur einen, sondern gleich sechs Sklaven bekommen.«
    »Gewiss, oh, Gebieterin. Allerdings hast du Ngongo nur zurückbekommen, denn du besaßest ihn ja schon, bevor ich ihn, zusammen mit dem Cirurgicus und dem Geschichtenerzähler, für dich an Mehmet Pascha verkaufte.«
    »Ja, ja, ja.«
    Rabia vergewisserte sich, dass der Abstand zur Weidengerte nach wie vor groß genug war, und fügte hinzu: »Leider für viel weniger, als du heute selbst bezahlt hast.«
    »Halt den Mund, dummes Ding!«
    »Darf ich trotzdem noch einmal fragen, oh, Gebieterin, was du mit so vielen Sklaven willst?«
    Das Gesicht von Âmina Efsâneh erschien im Fenster. Ihr Mund lächelte schmal. »Das darfst du, Rabia, da du so gut rechnen kannst. Ich habe mit den sechs Kerlen etwas ganz Bestimmtes vor.« Das Lächeln wurde breiter, und wieder war es ein Lächeln mit nichts anderem dahinter als Zähnen.
    »Mit ihnen – und mit dir.«
     
    Die Karawane bewegte sich nur langsam vorwärts. Es war bereits der dritte Tag, da sie, stets in südliche Richtung strebend, Tanger verlassen hatte, und eigentlich hätte sie schon viel weiter sein müssen. Dass dies nicht der Fall war, lag daran, dass sechs der Männer nicht gut zu Fuß waren – der Cirurgicus und seine Freunde
    Rabia jedoch saß auf einem Kamel. Sie kauerte mehr schlecht als recht im Sattel, denn sie hatte niemals reiten gelernt. Genauso, wie sie niemals in Fez gewesen war. Doch genau diese im Königreich
Al-Mamlaka al-Maghribijja
gelegene Stadt war das Ziel des Wüstenzuges. Fez lag im Vorland des Mittleren Atlasgebirges, eine große Stadt, groß, weil es dort viel Wasser gab und demzufolge viele Palmen, Datteln und andere Früchte. Es gab Viehzucht und Feldanbau. Und es gab Moscheen. Ihre Zahl war so groß, dass manche behaupteten, der Rechtgläubige könne an jedem Tag des Jahres in einer anderen beten. Fez war darüber hinaus religiöses Zentrum und Stätte vieler islamischer Schulen.
    Und Fez war noch hundert Meilen entfernt.
    Rabias Blick fiel auf die vor ihr gehenden sechs Gestalten. Die Sklaven schwitzten und keuchten, dass einem angst und bange werden konnte. Sie hatten an diesem Tage erst ein einziges Mal Wasser zu trinken bekommen. Mehr hatte der Khabir, der Karawanenführer, nicht gestattet. Rabia wusste auch, warum: Âmina Efsâneh hatte es ihm verboten. Als Gemahlin seines Herrn, des reichen Sîdi Chakir, konnte sie das tun, zumal jedermann wusste, wie gefährlich es war, sich ihren Unmut zuzuziehen.
    Ja, der Weg der sechs Männer sollte ein Vorgeschmack dessen sein, was sie am Ziel erwartete: eine Arbeit, wie sie schlimmer nirgendwo in Afrika anzutreffen war.
    Rabia, die als Kind tief im Inneren der Sahara in einer Oase namens Ouargla gelebt hatte, kannte diese Fronarbeit. Sie hing, wie alles in der Wüste, mit dem Wasser zusammen. Oasen verfügten nur über eine bestimmte Menge Grundwasser, was dazu führte, dass sie sich nicht beliebig weit in die Wüste ausdehnen konnten. Wollte man dennoch die Anbaufläche vergrößern, musste man das kostbare Nass auf kompliziertem Wege über Kanalsysteme heranführen. Diese »Foggara« genannten Anlagen lagen unter dem Wüstensand und waren nur an den Hügeln, in denen sich die Einstiegsschächte befanden, zu erkennen.
    Zum Ausheben der Kanäle und Schächte nahm man schwarze Sklaven, wie etwa die Haratin. Sie waren die Einzigen, denen man die Arbeit unter der Oberfläche zumuten konnte. Tag für Tag mussten sie ohne Sonnenlicht und ohne den leisesten Windzug schuften. Immer wieder gab es eingebrochene Erdmassen, die schnellstmöglich hinausgeschafft werden mussten, damit das notwendige Nass wieder floss. Eine mörderische, niemals abreißende Plackerei, die ein Leben lang dauerte.

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