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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Allerdings meist nur ein kurzes Leben.
    Das war das Schicksal, dass die rachsüchtige Gebieterin Âmina Efsâneh für den Cirurgicus und seine Freunde bestimmt hatte. Denn Sîdi Chakir besaß in der Nähe von Fez mehrere Dattelpalmenhaine, und er plante, sie zu vergrößern. Diese Absicht wiederum erforderte eine Ausweitung der Foggara – und damit neue Arbeitskräfte.
    Rabia selbst hätte auch gern etwas Wasser getrunken, aber sie wagte nicht, hinter sich zu greifen, wo der Schlauch aus Ziegenleder hing. Sie war wirklich keine gute Reiterin, war es nie gewesen. Als Reittier für eine Frau war nun einmal das schwankende Wüstenschiff nicht geeignet. Wenn überhaupt ein Tier, dann der Esel. Doch die Gebieterin hatte daran keinen Gedanken verschwendet, als sie Rabia die Verantwortung für die sechs Sklaven aufhalste. »Bring sie nach Fez«, hatte sie gesagt und gleichzeitig gedroht: »Und lass sie nicht entkommen. Übergib sie dem Oberaufseher von Sîdi Chakirs Palmenhainen und kehre selbst so rasch wie möglich zurück. Denk an deinen geliebten Bruder Ahmad, der ebenfalls in meinem Hause arbeitet. Du willst doch nicht, dass ihm etwas zustößt?«
    »Nein«, hatte Rabia hastig geantwortet. »Das will ich nicht.«
    Rabia entschloss sich, doch nach dem Ziegenschlauch zu greifen. Zu groß war ihr Durst. Als sie sich halb nach hinten umdrehte und ihre Hand nach dem Lederbehältnis ausstreckte, verlor sie um ein Haar das Gleichgewicht, denn ihr Kamelhengst war ruckartig stehen geblieben. Der Khabir, der ganz vorn die Karawane anführte, hatte mit hocherhobenem Stock das Zeichen zum Halt gegeben. Sie blickte sich um. Ihre Kurzsichtigkeit hinderte sie daran, sich ein klares Bild von ihrer Umgebung zu machen, doch immerhin erkannte sie, dass der Boden steiniger und welliger geworden war. Links vor ihnen wurden aus den Wellen Hügel und noch weiter entfernt aus den Hügeln Berge. Das musste das Rifgebirge mit dem Dschebel Tidirhine sein, die Heimat kriegerischer Kabylen.
    »Wir werden hier unser Nachtlager aufschlagen!«, rief der Khabir.
    Insgesamt einunddreißig Kamele waren stehen geblieben, davon siebenundzwanzig Lasttiere und vier Reittiere. Eines der vier Reittiere wurde von dem Khabir und eines von Rabia geritten, die restlichen zwei fanden unterschiedliche Verwendung. Unter anderem stellten sie eine Art Reserve dar. Neben den Tieren gehörten der Karawane elf Kameltreiber an, die wie die sechs Sklaven zu Fuß gingen. Doch sie litten keineswegs unter Durst. Zum einen, weil sie genug Wasser hatten, zum anderen, weil sie Teil der Wüste waren, zähe Kerle mit wettergegerbten Gesichtern, die sich ohne Hast bewegten und kein Jota an Kraft vergeudeten. Mit Körpern, die unempfindlich zu sein schienen gegen die Gluthitze des Tages und die Kälte der Nacht. Wortlos nahmen sie den Tieren geübt die Lasten, Gerätschaften und Sättel ab. Sie verströmten Ruhe und Ausgeglichenheit und so etwas wie Geborgenheit. Rabia war dankbar dafür. Zwar hatte sie die Verantwortung für die sechs Gefangenen, doch sie musste sich um nichts sonst kümmern. Der Khabir und seine Männer hatten ein wachsames Auge auf die Sklaven, und er würde sie sicher nach Fez bringen. Er war ein erfahrener Mann, der sich Hadschi nennen durfte, da er in seinem Leben nach Mekka gepilgert war und dort die Heilige Ka’aba umschritten hatte – jenes Gebäude, in das der schwarze Stein Hadschar al-Aswad eingelassen ist.
    Hadschi Abdel Ubaidi trat zu Rabia. In seiner ruhigen Art sagte er: »Ich sehe, dein Hengst gehorcht dir noch immer nicht. Du musst lernen, ihn niederknien zu lassen, auch wenn er manchmal störrisch ist. Er wird sich an dich gewöhnen, wir sind noch lange genug unterwegs.« Während er das sagte, hatte er dem Tier fast spielerisch die Hand auf den Hals gelegt, und wie von Zauberhand sank das Kamel in die Knie.
    »Ich danke dir.« Rabia versuchte Haltung zu bewahren. Beim Absteigen hatte sie erneut fast das Gleichgewicht verloren.
    »Ich nehme an, du willst zunächst nach den Sklaven sehen. Anschließend wirst du dein Zelt dort hinten bei den Steinfelsen finden. Meine Männer werden es aufbauen und dir ein Feuer entzünden.« Der Khabir räusperte sich. Das Angebot, der Dienerin ein eigenes Feuer anzufachen, war nicht nur reine Höflichkeit. Vielmehr steckte die Notwendigkeit dahinter, die Frau von der Feuerstelle der Treiber fern zu halten. Fremde Frauen hatten in Männergesellschaft nichts zu suchen. Das gab nur Unruhe, und die konnte er nicht

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