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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Ubaidi winkte ab. Er stand auf und holte aus seinem Umhang ein Ziegenfell hervor. »Die Nacht wird kalt werden, hier hast du noch etwas zum Zudecken.« Und ehe die Dienerin etwas sagen konnte, fuhr er fort: »Ich muss zurück zu meinen Männern, höchste Zeit für das gemeinsame Nachtgebet.«
    Wenig später hörte sie den lang gezogenen Singsang der Gläubigen:
»Allah akbar … ashadu annaha lahilaha illa’llah … lahila il Allah Mohammad ressul Allah … anna … illa’llah …«
    Sie spürte die Inbrunst fast körperlich, mit der dieselben Worte des Korans wieder und wieder gerufen wurden. Der heftige Wunsch, selbst Allah nahe zu sein, überkam sie, und rasch rollte sie ihren Teppich aus.
    Nach dem Gebet fühlte sie sich gestärkt. Sie würde ihre Aufgabe meistern und wieder nach Tanger zurückkehren. Die Gebieterin würde sie loben, ja, vielleicht sogar belohnen, und ihrem kleinen Bruder Ahmad würde nichts geschehen.
    Sie überlegte, ob sie sich zur Ruhe legen sollte, aber sie spürte noch keine Müdigkeit. Der Himmel über ihr war sternenklar, so viel konnte sie sehen, auch wenn sie die genauen Umrisse der Himmelslichter nicht zu erkennen vermochte. Sie beschloss, noch ein wenig am Feuer zu bleiben, und warf von dem mitgeführten Brennholz, das die Treiber ihr vorsorglich hingelegt hatten, ein paar Äste in die Flammen. Sie züngelten hoch auf, verbreiteten neue Wärme und neues Licht. Es war so hell, dass sie noch eine Weile spielen wollte. Sie ging ins Zelt und holte ein vierundsechzigfach gemustertes Brett und zweiunddreißig Holzfiguren hervor. Schach. Das Spiel der Könige, das sie so liebte.
    Sie stellte die Figuren auf, die schwarzen und die weißen, und fragte sich wie immer, wenn sie gegen sich selbst antrat, welche Farbe sie wählen sollte. Dabei kam sie erneut ins Grübeln. Weiß, so sagte man, sei besser, weil grundsätzlich mit dieser Farbe begonnen wurde – also war man immer einen Zug voraus. Aber stimmte das wirklich? Hatte der Spieler mit den schwarzen Figuren nicht den Vorteil, dass er sah, was Weiß beabsichtigte? Alles hatte eben seine zwei Seiten. Genau wie im Leben. Dem einen ging es gut, dem anderen schlecht.
    Dem Cirurgicus, dem Magister und ihren Kameraden ging es zweifellos schlecht, und wenn man es genau betrachtete, hatten sie das nicht verdient. Es war ungerecht, was ihnen widerfuhr. Was konnte der Cirurgicus vom Kloster Campodios dafür, dass die Gebieterin sich in ihn vernarrt hatte und ihn anschließend, als er ihren Wünschen nicht entsprach, mit Hass begegnete? Was konnte der Magister dafür, dass er zufällig der Freund des Cirurgicus war? Was konnten die anderen vier Männer für ihr Los?
    Nichts. Auch die Tatsache, dass sie dem falschen Glauben anhingen, machte da keinen Unterschied.
    Rabia packte das Schachbrett wieder ein.
    Sie ging zur Ruhe, doch sie fand lange keinen Schlaf.
     
    »Da vorne halb rechts kannst du am Horizont die Minarette der Moscheen von Ksar el-Kebir sehen.« Hadschi Abdel Ubaidi hatte sich zurückfallen lassen und ritt nun neben Rabia.
    Die Dienerin schaute in die Richtung seiner ausgestreckten Hand, konnte aber natürlich nichts entdecken. Sie zwang sich, nicht zu blinzeln, und sagte vielmehr: »Ksar el-Kebir? Von dieser Stadt habe ich schon gehört. Unsere Glaubensstreiter sollen dort einen großen Sieg errungen haben.«
    »Oh, das weißt du?« Der Khabir zog verwundert die Brauen hoch. Es war nicht selbstverständlich, dass muselmanische Frauen sich für das Weltgeschehen interessierten. »Ja, es stimmt. Das war im vergangenen Jahr. Sultan Abd el-Malik hat dort die Portugiesen vernichtend geschlagen. Ihr schwacher König Sebastian fiel in der Schlacht. Genau geschah es am vierten Tag jenes Monats, den die Ungläubigen August nennen. Siehst du den grünen Gürtel, der sich zwischen uns und der Stadt entlangzieht? Es ist das Wadi des Loukos, fruchtbares Land, das von altersher besiedelt ist. Ein weiser Mann in Ouezzane hat mir einmal erzählt, die ersten Menschen hier seien vom Volk der Römer gewesen. Nun ja, ich habe nie von ihnen gehört. Wer will das überprüfen. Ich muss wieder nach vorn. Übrigens, du sitzt schon etwas besser im Sattel.«
    Das Kamel des Khabirs trabte wieder an die Spitze der Karawane, und Rabia hing ihren Gedanken nach. Die Treiber stimmten ein Lied an. Erstaunlich, dass sie trotz des anstrengenden Marsches dazu in der Lage waren. Doch es kam häufiger vor, dass während des Tages eine Melodie angestimmt wurde.
    Dem

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