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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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er.
    Jetzt war Rabia verblüfft. Statt überrascht zu reagieren, hatte er zum zweiten Mal gesagt, sie sei schön. Dann erst merkte sie, dass ihr Schleier verrutscht war. Hastig wollte sie ihr Antlitz wieder verhüllen, doch sie tat es nicht. Grund war die Miene des Magisters. Ein Lächeln lag darin und zweifellos Bewunderung. Ein warmes Gefühl durchströmte sie. Noch nie in ihrem siebzehnjährigen Leben hatte ihr jemand ein solches Kompliment gemacht. Sie zögerte, das Tuch wieder an seinen Platz zu ziehen, denn auch eine züchtige Frau musste sich nicht vor jedem Mann verschleiern. Es gab Ausnahmen, viele Ausnahmen sogar. Sie standen genauestens beschrieben auf den heiligen Seiten des Korans, die sie zum größten Teil auswendig kannte. Wie hieß es da in der Vierundzwanzigsten Sure?
    »… und sprich zu den gläubigen Frauen, dass sie ihre Blicke niederschlagen und ihre Scham hüten und dass sie nicht ihre Reize zur Schau tragen, es sei denn, was außen ist, und dass sie ihren Schleier über ihren Busen schlagen und ihre Reize nur ihren Ehegatten zeigen oder ihren Vätern oder den Vätern ihrer Ehegatten oder ihren Söhnen oder den Söhnen ihrer Ehegatten oder ihren Brüdern oder den Söhnen ihrer Brüder oder den Söhnen ihrer Schwestern oder ihren Frauen oder denen, die ihre Rechte besitzen, oder ihren Dienern, die keinen Trieb haben …«
    Genau das war es …
oder ihren Dienern, die keinen Trieb haben …
Hatte der Magister nicht wiederholt betont, er sei ihr Diener? Ja, das hatte er. Und als ein solcher durfte er auch ihr Gesicht sehen. Aber was war, wenn der Khabir kam? Ihm konnte sie schlecht die Begründung für ihren unverhüllten Zustand nennen, und wenn sie richtig darüber nachdachte, so war der kleine Mann mit den vielen Fähigkeiten auch nicht ihr Diener. Das Wort »Diener« aus seinem Mund war nicht mehr als eine Liebenswürdigkeit, leider …
    Rabia verschleierte sich wieder und sagte abermals: »Schach!«
    »Ich habe es gehört.« Der Magister deckte seinen König ab, und sie spielten weiter. Es war ein zähes Ringen, und am Ende hatte Rabia verloren. Sie begann die Figuren neu aufzustellen, doch der kleine Mann winkte ab. »Lass nur, Rabia, es ist besser, wenn ich jetzt wieder zu meinen Sklavenkameraden gehe. Ich möchte hier vor deinem Zelt nicht noch einmal mit dem Karawanenführer zusammentreffen. Schon gestern Abend hatte ich das Gefühl, als wolle er mich mit seinen Blicken durchbohren. Ich wünsche dir angenehme Träume.«
    Rabia sah ihm nach. Es war ihr, als hinterließe er eine Leere, die erst wieder verschwand, als kurz darauf der Khabir vorbeischaute.
    Er brachte zwei messingene Tässchen mit.
     
    »Hast du dir eigentlich überlegt, wie verhängnisvoll sich deine nächtlichen Exkursionen auf unser aller Schicksal auswirken können?«, fragte der Cirurgicus bald darauf den Magister.
    »Hab ich, hab ich.« Der kleine Mann wickelte sich in eine zweite Dschellaba ein, dann kuschelte er sich dicht an seinen Freund. »Wir machen es wie die Kamele, was, du Unkraut? Wärmen uns gegenseitig vor der Kälte der Nacht und strecken den Hintern in den Wind.«
    »Weich mir nicht aus. Ich habe gesehen, wie der Khabir vorhin fortwährend zum Zelt der Dienerin starrte und erst dann seine Schritte dorthin lenkte, als du gegangen warst.«
    »Der Kerl ist eifersüchtig«, kicherte der kleine Gelehrte. »Aber im Ernst, Vitus, Rabia ist wirklich ausnehmend hübsch, so schön« – er suchte nach Worten –, »so schön wie eine Göttin, die gerade von der Akropolis herabgestiegen ist. Wenn ich nicht doppelt so alt wie sie wäre, würde ich glatt mein Glück bei ihr versuchen.«
    »Bist du verrückt!« Vitus sprang auf. »Deine Besuche bei ihr können uns alle den Kopf kosten.«
    Der Magister zog den Freund wieder auf den Boden. »Im Gegenteil, ich versuche, uns zu retten. Ich habe nämlich vorgestern zufällig ein Gespräch der Treiber mit angehört, in dem sie sich darüber unterhielten, was man mit uns in Fez vorhat. Ich konnte nicht alles verstehen, weil die Burschen so ein scheußliches Kauderwelsch sprechen, aber soviel ich mitbekommen habe, will man uns in tiefe Gänge unter der Wüste sperren, in eine Art Bergwerk, wo wir nach Wasser graben sollen oder so etwas.«
    »Was? Warum hast du mir das nicht schon längst erzählt?«
    »Weil ich anfangs noch nicht ganz sicher war. Heute aber habe ich wieder ein paar solcher Gesprächsfetzen aufgefangen, und nun weiß ich genau, dass Schreckliches auf uns

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