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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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kann; es ist in der Lage, seine Nasenöffnungen zu schließen, damit der Wüstenstaub nicht eindringt; es kann Fett in seinem Höcker speichern, damit es lange ohne Nahrung auskommt. Wusstest du übrigens, dass unsere Kamele eigentlich zwei Höcker haben? Der vordere ist nur nicht voll ausgebildet.«
    »Nein, das wusste ich nicht«, sagte Rabia wahrheitsgemäß. Sie sah mit Staunen, dass die Wüstentiere unentwegt weitertranken. Es dauerte seine Zeit, bis zwanzig große Eimer Wasser in den Mägen verschwunden waren. Etwas entfernt betätigte sich eine Hand voll Treiber als Wasserschöpfer. Alles, was auch nur irgendwie als Speicherbehältnis taugte, wurde gefüllt. Ziegenschläuche, Schafsmägen und lederne Hüllen, die aussahen wie große schwarze Bälle.
    Der Khabir deutete mit dem Finger auf ein Kamel, das ganz rechts außen stand. »Siehst du das weiße Tier dort? Ist es nicht wundervoll? Eine junge Stute, erst fünf Jahre alt. Ihre Schönheit wird den höchsten Ansprüchen gerecht: Sie ist herrlich gebaut, hat große Augen, einen langen, schlanken Hals und einen hohen, festen Höcker. Ich habe sie für Sîdi Chakir auf dem Kamelmarkt in Asilah erstanden. Erst vor drei Monaten hat sie gekalbt und einen kleinen Hengst zur Welt gebracht, der nahezu schwarz ist. Ja, die Farben der Kamele sind so unterschiedlich wie sie selbst. Jedes hat seine ganz eigene Art, seine Angewohnheiten, seine Launen. Manche sind grenzenlos gutmütig, andere störrisch wie ein Esel, wieder andere nachtragend wie ein altes Weib. Sie sind vorsichtig im Verschenken ihrer Gunst, abwartend, misstrauisch, sie wollen ihren Herrn erst kennen lernen, bevor sie sich ihm anvertrauen. Er ist es, der um sie werben muss, nicht sie um ihn. Sie sind nicht wie dahergelaufene Hunde.«
    »Ich sehe die Stute.« Rabia entdeckte an der angegebenen Stelle einen weißen Fleck. Einen Fleck unter vielen: unter braunen, braunschwarzen, rotbraunen, grauen, graubraunen, ockerfarbenen und gelben – ein bunter, lebender Flickenteppich, der nach wie vor Wasser aufsog. »Ja, ich sehe sie. Ich möchte jetzt ein wenig in den Schatten gehen, da hinten, wo die Bäume stehen. Ich hoffe, du entschuldigst mich.«
    »Selbstverständlich, ich muss mich ohnehin um das Verstauen der Wasservorräte kümmern. Wenn die Sonne aus dem Zenit gewandert ist, ziehen wir weiter.«
    Rabia ging so weit in das Wäldchen hinein, bis sie sicher war, dass niemand sie beobachten konnte. Dann verrichtete sie ihre Notdurft, säuberte sich mit Sand und nahm eine Wollfettsalbe aus der Innentasche ihrer Dschellaba. Sie cremte sich das wunde Gesäß ein, so wie sie es an den vergangenen Tagen auch schon gemacht hatte. Die Arznei brachte ihr Linderung. Sie überlegte, dass die Karawane morgen bereits das Wadi des Sebu erreichen würde und es dann höchstens noch einen oder zwei Tagesritte bis Fez wären.
    Der Gedanke, bald ans Ziel zu kommen und ihre Aufgabe endlich hinter sich zu haben, erfüllte sie mit Freude.
    Aber, und darüber wunderte sie sich, auch ein wenig mit Trauer.
     
    »Da bin ich.« Der Magister bog um die Ecke von Rabias Zelt und deutete eine Verbeugung an. »Ich komme, um dich schachmatt zu setzen!«
    Rabia musste lachen. Der Geschichtenerzähler hatte so eine unbekümmerte, zuversichtliche Art, dass man ihn einfach gern haben musste. »Und wenn ich nun nicht spielen will?«
    »Wie? Du hast keine Lust? Aber ich habe mich schon den ganzen Tag darauf gefreut. Es war das Einzige, was mich aufrechterhalten hat. Nein, nein, du bist mir noch ein Rückspiel schuldig.«
    Das stimmte allerdings. Und weil das so war, hatte sie die Figuren auch schon aufgebaut. Sie holte das Brett aus ihrem Zelt und legte es vor dem Feuer im Sand ab. »Heute eröffnest du.« Sie drehte ihm die weißen Steine hin.
    »Kommt nicht in Frage. Ich nehme Schwarz. Das passt auch besser zu meiner Seele.«
    Rabia wusste nicht, was er damit meinte, kam seinem Wunsch aber nach. Sie begannen zu spielen. Es zeigte sich, dass der Magister die Figuren vorzüglich zu setzen wusste. Er war in allen Belangen ein gleichwertiger Gegner. Dennoch gelang es ihr mit einem kühnen Zug, seinen König derart in Bedrängnis zu bringen, dass sie »Schach!« rufen konnte. Sie tat es so lebhaft und beugte dabei den Kopf so weit nach vorn, dass ein Teil ihres Schleiers sich löste, was sie allerdings nicht bemerkte. Sie sah den kleinen Mann unverwandt an und war gespannt auf sein verblüfftes Gesicht.
    »Du bist wirklich sehr schön«, sagte

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