Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
Vom Netzwerk:
Geschichtenerzähler mich abends zum Schachspielen aufsucht. Ich weiß, es ist etwas ungewöhnlich, aber ist nicht die ganze Reise ungewöhnlich?«
    Hadschi Abdel Ubaidi schwieg.
    »Ich nehme mindestens so gern einen Minztrank mit dir ein, wie ich mit dem Magister Schach spiele.«
    Jetzt räusperte der Khabir sich, und nur wer ganz genau hinsah, konnte ein flüchtiges Lächeln in seinen Augenwinkeln entdecken. »Rabia, Dienerin der Gemahlin meines Herrn, ich glaube,
samum
, der Unentschlossene, hat sich entschieden. Er lässt nach. Wir ziehen bald weiter.«
    Er stand auf und entfernte sich.
     
    Die darauf folgende Nacht war die erste während der Reise, in der Rabia nicht schlafen konnte. Zu später Stunde noch hatte Hadschi Abdel Ubaidi bei ihr gesessen und gesüßte Minze mit ihr genossen. Es hatte ihm so gut gemundet, dass Rabia nicht weniger als dreimal neuen Trank hatte aufbrühen müssen. Dabei war der Karawanenführer ins Erzählen gekommen. Er berichtete von sich und seiner Familie, von seinem Vater, seinen Brüdern, seinen Onkeln, vor allem aber von seiner Reise nach Mekka, die mittlerweile sieben Jahre zurücklag und die einen unauslöschlichen Eindruck bei ihm hinterlassen hatte.
    »Ich würde auch einmal gern in die heilige Stadt pilgern«, hatte Rabia irgendwann eingeworfen.
    »Du? Nach Mekka?« Der Khabir hatte verwundert sein Tässchen abgesetzt »Es ist nicht üblich, dass Frauen diesen Wunsch äußern. Dennoch ist es möglich, ebenso wie es möglich ist, als Frau die Gefilde des Paradieses zu betreten, wie aus der Dreizehnten und Siebzehnten Sure eindeutig hervorgeht.«
    »Das ist mir bekannt, Hadschi Abdel Ubaidi, denn ich kann lesen und schreiben. Ich habe eine Koranschule in der Oase von Ouargla besucht.«
    »Oh, du kannst lesen und schreiben?« In den Augen des Khabirs blitzte Respekt auf.
    »Ja, das kann ich. Aber was nützt mir das ganze Wissen, wenn ich nicht aus den Mauern von Tanger herauskomme.«
    »Nun, immerhin führt Allah dich jetzt nach Fez. Und wenn es sein Wille ist, demnächst auch nach Mekka. Der Mensch und alle seine Handlungen sind durch ihn vorbestimmt.«
    »Ja, Hadschi Abdel Ubaidi, Allah ist groß.«
    Der Khabir trank einen weiteren Schluck. »Vielleicht befiehlt er deiner Gebieterin irgendwann, dir die Reise zu erlauben.«
    »Inschallah

    »Allerdings bräuchtest du auf dem langen Pilgerpfad erfahrenen, männlichen Schutz. Und noch besser wäre es, du würdest als verheiratete Frau reisen – mit einem Hadschi, der die heilige Stadt schon kennt. Denke einmal darüber nach.« Der Khabir hatte Rabia tief in die Augen geblickt. »Wenn Allah will, ist alles möglich.«
    Gleich darauf war er in der für ihn typischen Art rasch gegangen …
    Noch immer konnte Rabia nicht einschlafen. Sie drehte sich wohl zum hundertsten Mal auf die andere Seite, während sie wieder und wieder an die Worte des Karawanenführers denken musste. Was er gesagt hatte, kam einem Heiratsantrag gleich, und das war außerordentlich ungewöhnlich. Normalerweise legten die Eltern fest, wer wen heiratete, und verständigten sich über die Mitgift und die Kosten der Feierlichkeiten, und dies alles häufig schon dann, wenn das zukünftige Paar sich noch im Kindesalter befand. Doch Rabia hatte keine Eltern mehr, und beim Khabir mochte es genauso sein. Bei einem Heiratswunsch musste er Sîdi Chakir fragen und sie ihre Gebieterin, die strenge, ungeduldige Âmina Efsâneh. Oder hatte der Khabir alles gar nicht so gemeint?
    Wieder drehte Rabia sich auf die andere Seite. Doch, das hatte er. Ihr weibliches Gespür ließ daran keinen Zweifel. Vieles in des Karawanenführers Verhalten war jetzt erklärlicher, auch die unmutigen Blicke, mit denen er den Magister bedacht hatte. Der Magister. Heute Abend war er nicht erschienen, gerade so, als habe er geahnt, dass Hadschi Abdel Ubaidi etwas unerhört Wichtiges mit ihr zu besprechen hatte.
    Nein, es half nichts. Sie konnte nicht einschlafen. Rabia stand auf und schlang sich das Ziegenfell vom Khabir um ihre schmalen Schultern. Dann trat sie hinaus vors Zelt.
    Die Nacht war kalt und sternenklar. Sie blickte nach oben, wo der Mond wie eine Papierlaterne am Himmel hing. Eine Sternschnuppe löste sich im Süden und zog ihre Bahn. Rabia wünschte sich, sie möge bald wieder in Tanger sein, und dann, wenn Allah wollte …
    Sie ging ein paar Schritte, denn die Kälte kroch in ihr hoch. Da vorn lagen die Sklaven auf der nackten Erde, eng aneinander geschmiegt, um sich

Weitere Kostenlose Bücher