Die Mission des Zeichners
als zuverlässigen Informanten gerühmt, doch ob er den Kerl je persönlich kennen gelernt hatte, entzog sich Cloistermans Kenntnis. Ihm fiel es indes schwer, der vom guten Colonel in seinem Selbstlob verkündeten Wachsamkeit zu trauen. Die einzige Gewissheit, die Cloisterman für sein Geld erlangt hatte, bestand darin, dass das Grüne Buch - und das Unheil, das es anrichten konnte - nicht Gesprächsgegenstand im Palazzo Muti war.
Das legte den Schluss nahe, so tröstete sich Cloisterman, dass Estelle de Vries Rom noch nicht erreicht hatte. Umso wahrscheinlicher wurde es deshalb, dass sie es aufgrund der von Blain in Florenz getroffenen Vorsichtsmaßnahmen auch nie bis hierher schaffen würde. Mit dem Vorsatz, dass er mit dem, was er heute Nachmittag erreicht hatte, eigentlich zufrieden sein sollte, trat Cloisterman in die Kühle der hereinbrechenden Nacht hinaus und schlenderte zur Kreuzung des Corso hinunter, um diesen zu überqueren und in die Straße einzubiegen, die zu seiner Unterkunft in der Casa Rossa führte.
Eine Laterne, die das Schild eines Tabakladens an der Ecke beleuchtete, bewahrte ihn vor einem Zusammenstoß mit einem den Corso hinuntereilenden Mann. Während Cloisterman abrupt stehen blieb, stürmte der Mann einfach weiter.
Cloisterman dagegen war jäh schwindlig geworden, und mit wild pochendem Herzen musste er sich an der Hauswand abstützen. Im Licht der Laterne hatte er das Gesicht des Mannes deutlich gesehen und hatte ihn auf Anhieb erkannt. Auch jetzt noch, da der andere mit eiligen Schritten in die Dunkelheit strebte, hätte er ihn allein schon aufgrund seiner Haltung identifiziert.
»Spandrel«, flüsterte Cloisterman ungläubig vor sich hin. »Was treibst du hier?« Einem Impuls folgend, folgte er ihm.
Doch in diesem Moment lief ein Mann an ihm vorbei, der in dieselbe Richtung wollte wie Spandrel. Er war klein, mager wie ein Windhund und fast genauso schnell. Die Neigung seines Kopfes und der leicht vorgebeugte Oberkörper verrieten Cloisterman auf den ersten Blick seine Absicht. Auch er folgte Spandrel. Anscheinend gab es auch andere, die wissen wollten, was der bankrotte Kartenzeichner in Rom vorhatte.
Wenn James Edward Stuart, der Prätendent auf die Throne von Schottland und England, etwas auszeichnete, dann war es die Beharrlichkeit in seinen Ansprüchen. Er verfolgte mit Feuereifer jede noch so abwegige Möglichkeit und vage Hoffnung auf die Wiedereinsetzung seiner Dynastie. Doch mit seiner Hingabe an die Sache offenbarte sich auch seine Schwäche. Von Geburt und Erziehung her war er ein König, der sich an seinen Titel klammerte, weil er nichts anderes kannte. Mit seiner Leichenbittermiene verkörperte dieser Mann freilich für niemanden das Ideal eines Monarchen. Ob er - oder sein neugeborener Sohn - das Herz eines Königs hatte, konnte nur die Zeit erweisen.
Doch Zeit war auf einmal von höchster Bedeutung, wie James Edgars ungewohnt dringendes Gebaren verdeutlichte. Im Palazzo Muti war es früher Abend, und der Herrscher, dessen Königreich seine Mauern umfassten, hatte eigentlich vor dem Dinner noch das Kinderschlafzimmer aufsuchen wollen, um seinen gefeierten Thronfolger zu liebkosen. Stattdessen befand er sich jetzt mit seinem Sekretär in einem verschwiegenen Raum in ein ernstes Gespräch über eine Entwicklung vertieft, die möglicherweise ein wahres Erdbeben auslösen würde.
»Wie wichtig könnte dieses Buch für uns werden, Mr. Edgar?«
»Es beweist, dass der Kurfürst von Hannover, sein Sohn, seine Schwiegertochter, seine Mätressen und die meisten seiner früheren und gegenwärtigen Minister Schurken sind, die rücksichtslos in die eigene Tasche wirtschaften.«
»Aber das wussten wir doch schon vorher.«
»Aber mit dem Buch haben wir den Beweis, Sir. Die Nation ist durch den South-Sea-Schwindel in die Knie gezwungen worden. Wenn Ihre Untertanen begreifen würden, wie der Prinz, der über sie herrscht, aus ihrem Ruin Profit geschlagen hat, würden sie sich gegen ihn erheben und die Rückkehr ihres wahren Königs fordern. Ich glaube schlichtweg, dass sich mit diesem Buch Erfolgsaussichten eröffnen, wie sie Ihr Vater und Sie nie gehabt hatten.«
»Dann müssen wir es haben.«
»Allerdings, Sir, das müssen wir.«
»Wie können wir es erlangen?«
»Dieser Kerl, Spandrel, fordert für seine Übergabe hunderttausend Pfund.«
»So viel?«
»Ich werde ihn dazu überreden, einen niedrigeren Betrag anzunehmen. Selbstverständlich habe ich ihn verfolgen lassen,
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