Die Mission des Zeichners
meldete sich eine Stimme in Spandrels Rücken, als die Kutschentür zugeschlagen und Cloisterman weggebracht wurde. Spandrel wirbelte herum. Buchstäblich an seiner Schulter stand Buckthorn und grinste ihn an. »Kennen Sie zufällig den armen Kerl, den sie da verhaftet haben?«
»Verhaftet?«
»Kommt mir so vor.« Buckthorns Blick folgte der sich entfernenden Kutsche und kehrte wieder zu Spandrel zurück. »Also, kennen Sie ihn?«
»Natürlich nicht!«
»Wirklich nicht? Merkwürdig. Erst steht er stundenlang vor dem Palazzetto Raguzzi Wache, dann schlendert er zum Albergo Luna, und plötzlich wird er davon geschleift und ins Gefängnis gesteckt. Verdammt merkwürdig, würde ich sagen.«
»Ich habe ihn noch nie gesehen. Wo ist Estelle?«
»Bei Naseby.«
»Und wo steckt der?«
»Nicht im Luna. Und das ist anscheinend auch gut so.«
»Was meinen Sie damit, Buckthorn.«
»Werden Sie bloß nicht schnippisch, alter Junge. Ich erkläre es Ihnen gern.«
»Warum sagen Sie mir nicht einfach, wo sie sind?«
»Weil das nicht so leicht ist. Ziehen wir uns doch ins Raguzzi zurück. Dort können wir uns unterhalten.«
»Wir können uns hier unterhalten.«
»Und belauscht werden? Dieses Risiko möchte ich wirklich nach Möglichkeit vermeiden. Sie werden mir sicher zustimmen, dass ein paar Vorsichtsmaßnahmen durchaus angebracht sind, sobald Sie erfahren haben, was ich zu sagen habe. Und wenn Ihre allererste Sorge dem Wohlergehen der reizenden Estelle gilt - was bei Ihnen als stets so aufmerksamem Vetter doch sicherlich der Fall ist -, werden Sie sich mir diesbezüglich gewiss erkenntlich zeigen.« Buckthorns Grinsen wurde breiter. »Kommen Sie jetzt bitte mit.«
Es dauerte nicht mehr als fünf Minuten, bis sie Spandrels Zimmer im Palazzetto Raguzzi betraten. Unterwegs fiel kein Wort, doch das Schweigen verriet Spandrel mehr, als seinem Seelenfrieden gut tat. Buckthorn hatte plötzlich nichts mehr von einem verschwenderischen, dümmlichen Stutzer an sich. Irgendwie schien er älter, scharfsinniger, weltgewandter, oder vielleicht war er das schon die ganze Zeit gewesen. Womöglich war Giles Buckthorn, der verwöhnte, oberflächliche Herumreisende, nichts als die geschickt in Szene gesetzte Verkörperung einer Rolle. Und wenn das stimmte, dann galt vermutlich dasselbe für seinen Freund Naseby Silverwood. In diesem Fall...
»Wie sind die Betten hier?«, erkundigte sich Buckthorn, als Spandrel die Lampen anzündete. »Weich genug?«
»Die Unterkunft ist sehr gemütlich.«
»Das glaube ich Ihnen gern.«
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir zu sagen, wo...«
»Ihre Base ist? Ich habe keine Ahnung, Mann.«
»Aber Sie haben doch gerade gesagt, Estelle...«
»Estelle? Ach die meinen Sie? Tut mir Leid. Ich dachte, wir wollten den Schein nicht mehr wahren. Seien wir ehrlich. Sie ist genauso wenig Ihre Base« - er grinste -, »wie Naseby und ich Busenfreunde aus Oxford sind.«
»Wo ist sie?«
»An einem sicheren Ort.«
»Was soll das heißen?«
»Dass sie unsere Gefangene ist. Und das bleibt sie auch, solange unser Geschäft nicht abgeschlossen ist.«
»Ihre... Gefangene?«
»Ganz richtig. Und falls Sie mir nicht glauben, ich habe etwas für Sie, das Ihnen beweist, dass wir sie nicht aus den Augen lassen.« Buckthorn zog einen Gegenstand aus der Tasche und warf ihn Spandrel zu.
Dieser fing das Ding mit der rechten Hand auf und starrte es verblüfft an. Was sich da an seine Handfläche schmiegte, war ein blaues Seidenstrumpfband von der Art, wie Estelle sie trug, wenn nicht sogar dasselbe. Oh, wie gut er es kannte!
Wut stieg in ihm empor. Er wollte sich auf Buckthorn stürzen, doch der war zu schnell für ihn. Ein Hieb in die Magengrube, und Spandrel sackte in sich zusammen. Im nächsten Moment stand Buckthorn hinter ihm und riss ihn hoch. Im Lampenlicht sah Spandrel eine Messerklinge glitzern. Dann spürte er sie an seiner Kehle, fühlte den Druck von kaltem Stahl an seiner Haut.
»Wir bringen sie um, wenn wir müssen, Spandrel«, zischte ihm Buckthorn ins Ohr. »Und Sie auch.«
»Was wollen Sie?«
»Diese Juwelen, die sie so vorsichtig in jeder Stadt, in der wir Station gemacht haben, in der Bank weggesperrt hat. Nicht, dass wir das für Juwelen halten. Aber für einen Schatz. Richtig. Eine Art von Schatz ist das auf alle Fälle. Und weil Sie gar so begierig darauf waren, ihn nach Rom zu bringen, muss er hier mehr wert sein als irgendwo sonst. Darum haben wir Sie so weit kommen lassen.«
»Ich weiß nicht,
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