Die Mission des Zeichners
wovon Sie reden.«
»Und ob! Sie müssen. Sehen Sie, Ihr Name steht neben dem von Estelle auf der Quittung der Calderini-Bank.«
Das stimmte. Estelle hatte darauf bestanden, dass die Quittung auf sie gemeinsam ausgestellt wurde. Sie sollte sie behalten, falls er im Palazzo Muti in Schwierigkeiten geriet. Aber die Unterschriften beider mussten vorgelegt werden, wenn sie das zurückforderte, was laut Beleg eine scatola digioielli rossa war, eine rote Schatulle für Juwelen, die in Wahrheit ein grünes Buch enthielt, das Grüne Buch.
»Noch eine Lüge, und ich schlitze Ihnen die Kehle auf, Spandrel.« Buckthorns Stimme war so hart und scharf wie das Messer in seiner Hand. »Verstanden?«
»Ja.«
»Gut. Nun, was steht in dem Buch?«
»Es ist ein Hauptbuch und gehört dem Kassenführer der South Sea Company. Darin sind alle Bestechungsgelder verzeichnet, die die Gesellschaft letztes Jahr gezahlt hat, um ihr Gesetz durch das Parlament zu bringen.«
»Ach, wirklich? Wen haben sie denn bestochen?«
»Parlamentsabgeordnete. Minister. Die königliche Familie.«
»Darum also Rom. Sie haben vor, es dem Prätendenten zu verkaufen, was?«
»Ja.«
»Was verlangen Sie?«
»Hunderttausend Pfund.«
»Estelle will hoch hinaus, was? Tja, ich bezweifle, dass sie jemals so viel bekommen wird. Aber das ist ja auch egal. Wer ist dieser Bursche, den sie vorhin aus der Albergo Luna abgeführt haben?«
»Cloisterman. Der britische Vizekonsul in Amsterdam.«
»Der vermutlich Ihnen und Estelle gefolgt ist. Wer war de Vries?«
»Ein Kaufmann in Amsterdam, dem einer der Direktoren der Gesellschaft das Grüne Buch anvertraut hatte.«
»Demnach ist de Vries wohl keines natürlichen Todes gestorben.«
»Nein.«
»Dann sind Sie also nicht nur Diebe, sondern auch Mörder. Tja, es tut mir schrecklich Leid, dass ich Sie enttäuschen muss, aber Ihre Bemühungen waren umsonst. Was haben Sie mit dem Prätendenten vereinbart?«
»Ich soll seinen Sekretär, Mr. Edgar, morgen Mittag treffen.«
»Die Vereinbarung ist geändert worden. An Ihrer Stelle werde ich hingehen. Morgen Vormittag um elf Uhr treffen Sie mich in der Banco Calderini, wo Sie sich die Schatulle aushändigen lassen und ihren Inhalt mir übergeben werden. Bis dahin werden wir Estelle dazu überredet haben, die zweite nötige Unterschrift auszustellen und uns den Schlüssel für die Schatulle auszuhändigen, sodass Schwierigkeiten auszuschließen sind. Im Gegenzug werden wir Ihnen sagen, wo Sie sie lebend und weitgehend unversehrt finden können. Damit wird unser Handel beendet sein. Sollten wir uns danach noch einmal begegnen, wäre das umso schlechter für Sie. Für Sie beide. Folgen Sie mir?«
»Ich folge Ihnen.«
»Und Sie stimmen zu?«
»Ja.«
»Das dachte ich mir schon. Unter uns, Mr. Spandrel: Ich bin mir nicht sicher, ob Estelle auch so handeln würde, wenn sie in Ihrer Lage wäre und Sie in ihrer. Aber was weiß man schon über Frauen?« Blitzartig wurde das Messer von Spandrels Kehle zurückgezogen. Buckthorn war jetzt vor ihm und wich rückwärts zur Tür zurück. »Ein Rat noch zum Abschied, Spandrel. Schauen Sie einem geschenkten Gaul immer ins Maul. Ach ja, und versuchen Sie nicht, mir zu folgen. Sie sind schlichtweg nicht gut genug.« Er griff hinter sich und öffnete die Tür. »Guten Abend.« Damit trat er in den Flur und schloss die Tür.
Spandrel tastete über seine Kehle. Bestürzt starrte er den Blutflecken auf seinem Finger an, dann stakste er zum Bett und setzte sich. Er lauschte dem eigenen Atem, als stammte er von einem Fremden, bis er sich langsam wieder beruhigt hatte. Gleichermaßen dauerte es eine Weile, bis er wieder klar denken konnte und sich mit der unerfreulichen Gewissheit abfand, dass Buckthorn Recht hatte. Er war diesen Kerlen nicht gewachsen. Das war also das Ende seines süßen Traums von Reichtum. Was Estelle betraf, konnte es nur noch darum gehen, ihr das Leben zu retten. Und dann... Aber nein, so weit konnte er nicht vorausschauen. Er konnte es nicht ertragen.
Cloistermans Fahrt in der vergitterten schwarzen Kutsche war von kurzer Dauer, so kurz, dass er immer noch nicht begriffen hatte, was überhaupt geschehen war, als ihm das langsamer werdende Klappern der Hufe verriet, dass sie in einen Hof eingefahren sein mussten. Dann wurde er auch schon ins Freie befördert und über mehrere Stufen hinauf in ein großes, von vielen Lampen beleuchtetes Gebäude eskortiert. Seine Wärter führten ihn erst über einen Gang mit hohen
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