Die Mission des Zeichners
Freunde überlistet und den Preis den Armen und den Unschuldigen aufgebürdet.
So konnte es sie kaum überraschen, als bekannt wurde, dass die für den Druck des Berichts des Brodrick-Ausschusses verwendeten Platten auf Befehl von Viscount Townshend zerschlagen worden waren. Eine zweite Auflage sollte es nicht mehr geben. Nicht, dass dieser Bericht mehr als einen Bruchteil Wahrheit enthalten hätte. Die vollständige Geschichte konnte nur ein gewisses Hauptbuch mit grünem Umschlag wiedergeben. Doch offenbar wusste niemand, wo es sich finden ließe oder ob es überhaupt noch existierte.
Mit einem kollektiven Stoßseufzer der Erleichterung derjenigen, deren Verluste damit geringer ausgefallen waren als ihre Gewinne zuvor, wurde die Legende von der South Sea Company zwar nicht der Geschichte, aber zumindest dem
Wartezimmer der Geschichte überantwortet, in dem wenig Gefahr bestand, dass man sie hervorkramte, es sei denn unter äußerst ungewöhnlichen Umständen. Das Augenmerk der politischen Welt wandte sich wieder vertrauteren Themen zu: dem Machtkampf zwischen zwei gleichermaßen fähigen und ehrgeizigen Männern, der durch jene Orgie von Treueschwüren gegen Höchstgebot, gemeinhin als Wahl bekannt, entschieden wurde.
ZWEITES BUCH
April - Juni 1722
29 Tod eines Staatsmannes
An einem stürmischen Frühlingsmorgen hastete Viscount Townshend über den St. James's Square zur Londoner Residenz des Earl of Sunderland. Die Umstände waren für seine Begriffe außergewöhnlich. Er fühlte sich in beunruhigendem Maße hin und her gerissen zwischen Euphorie und Sorge. Wie immer trafen die Wahlergebnisse im Schneckentempo ein, und diejenigen, die bisher ausgewertet worden waren, ließen auf einen nervenaufreibend offenen Ausgang zwischen Sunderland und Walpole schließen. Aber all diese Stimmen hatten mit einem Schlag jede Bedeutung verloren. Die Wahl war entschieden: Sunderland war tot.
Die Nachricht von Sunderlands plötzlichem und bisher rätselhaftem Dahinscheiden hatte Townshend am Vorabend erreicht. Überbracht hatte sie ihm der Lordsiegelbewahrer, der Duke of Kingston, der noch völlig fassungslos war, weil ihn Walpole angewiesen hatte, sämtliche Unterlagen des toten Earl sicherzustellen, selbst wenn das einen Einbruch in sein Büro erforderte. Townshend hatte die gleichen Skrupel, dennoch forderte er Kingston auf, diese Maßnahme durchzuführen. Den politischen Instinkten seines Schwagers war bei all seiner Brutalität stets zu trauen.
Es ließ sich nicht bestreiten, dass der lange Kampf mit Sunderland Walpole einige unschöne Lektionen erteilt hatte. Er war verschlossener, gerissener und rücksichtsloser geworden. Diese Züge verbarg er geschickt hinter Jovialität und einem polternden Auftreten, aber sie waren da und wurden von denen, die ihn gut kannten, auch bemerkt. Die jüngste Wendung war ein erhellendes Beispiel. Obwohl Sunderlands noch kaum erkaltete Leiche erst auf der Totenbahre und noch lange nicht im Grab lag, forderte Walpole Dokumente an, die eigentlich Familienbesitz waren. Damit trampelte er nicht nur auf den Gefühlen der schwangeren Witwe herum, sondern lud mit seiner forschen Art den Zorn der Schwiegermutter, der streitbaren Duchess of Marlborough, auf sich. Bei all dem hatte er nicht im Traum daran gedacht, Rücksprache mit seinem Freund und Schwager zu nehmen.
So etwas wie eine Rücksprache wartete nun wohl im Spencer House auf Townshend. Doch sie würde von einer Art sein, an die er sich in letzter Zeit hatte gewöhnen müssen: eine Besprechung im Nachhinein. Vielleicht sollte er protestieren. »Denk dran, Schatz«, hatte ihm seine geliebte Dolly mehr als einmal vorgehalten, »Robin schuldet dir doch so viel.« Nun, Townshend dachte ganz gewiss daran. Freilich war er sich nicht mehr sicher, ob das bei seinem Schwager noch der Fall war.
Das Spencer House hätte ein Ort stiller Trauer sein sollen, stattdessen herrschte hektische Betriebsamkeit. Bedienstete eilten durch die Räume, und Sekretäre des Schatzamts machten sich im Büro zu schaffen, wo sie eilig mit Dokumenten voll gestopfte Teekisten auf einen Karren luden. Das alles vollzog sich unter den Augen des verlegen dreinblickenden Duke of Kingston, der immer wieder traurig zu Townshend hinübersah und seine massiven Schultern zuckte.
»Er macht sich schon seit der Dämmerung in Sunderlands Büro zu schaffen«, brummte Kingston, ohne sich die Mühe zu geben oder es nötig zu haben zu erläutern, wen er damit meinte. »Ich habe es
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