Die Mission des Zeichners
verschlossen vorgefunden, wissen Sie. Darum musste ich es aufbrechen. Die Schubladen ebenfalls, und zwar jede einzelne.« Nun, es war höchst unwahrscheinlich, dass Kingston selbst Hand angelegt hatte, aber er gab seine Meinung deutlich zu verstehen. »Verdammt unziemlich nenne ich so etwas.«
»Aber zweifellos nötig«, erwiderte Townshend.
»Wer kann das schon beurteilen? All das« - Kingston deutete auf die Teekisten - »geht nach Chelsea.« Walpoles damalige Residenz, wohlgemerkt, nicht das Schatzamt - eine äußerst viel sagende Unterscheidung.
»Wie geht es der Countess?«
»Sie ist in Tränen aufgelöst, wie nicht anders zu erwarten, und fassungslos vor Entsetzen angesichts einer durch ihr Haus polternden Horde von Beamten mit tintenverschmierten Fingern, aber auch das war nicht anders zu erwarten. Es würde mich nicht wundern, wenn sie das Kind verloren hätte.«
»Wo ist der... äh...«
»Leichnam? Weggeschafft worden, Gott sei Dank.« Kingston senkte die Stimme. »Es wird von einer Obduktion gemunkelt.«
»Warum?«
»Warum wohl? Der Kerl war kerngesund, als ich ihn zuletzt gesehen habe.«
»Sie wollen doch nicht unterstellen, dass...«
»Ich will überhaupt nichts unterstellen. Aber andere werden nicht so vorsichtig sein, oder?«
»Das kann ich mir auch nicht vorstellen.«
»Nun, lassen Sie sich nicht von mir aufhalten. Er ist nicht in der Laune, verspätete Besucher zu begrüßen.«
»Ich komme doch nicht zu spät.«
»Nein?« Kingston flüsterte jetzt. »Wenn Sie mich fragen, kommen wir alle zu spät, wenn es darum geht, mit ihm Schritt zu halten.«
In Sunderlands geplündertem Büro herrschte fraglos eine Atmosphäre vorgeschützter Geschäftigkeit. Walpole saß am Schreibtisch seines toten Erzfeindes, neben seinem Ellbogen ein übrig gebliebener Frühstückskrug mit Apfelmost, vor ihm ein Wust Dokumente. Sein Gesicht war gerötet und strahlend wie das eines Farmers in seiner Heimat Norfolk, der gerade eine anstrengende, doch reichliche Ernte eingebracht hatte.
»Ah, da bist du ja, Charles! Willkommen, willkommen! Wie ist der Tag heute?«
»Ganz gut«, murmelte Townshend, obwohl er in Wahrheit überhaupt nichts vom Wetter mitbekommen hatte.
»Mehr als gut, würde ich sagen. Es ist der Tag, von dem ich nie gedacht hätte, dass wir ihn einmal erleben.«
»Was haben Sunderlands Unterlagen denn enthüllt?«
»Vieles. Man kann sogar sagen: fast alles. Aber...« Er verstummte und blitzte zwei Sekretäre an, die am anderen Ende des Raumes Kisten voll packten. »Ihr zwei! Raus!«
»Sofort, Sir!«, riefen sie wie aus einem Mund und verschwanden.
»Und macht die Tür hinter euch zu!« Sie fiel mit einem Klicken ins Schloss. »Ich habe sie schon den ganzen Vormittag am Hals. Kann sie nicht mehr sehen.«
»Es sieht so aus, als hättest du sie gebraucht.«
»Fürs Tragen, ja. Das ist auch schon alles, wozu sie taugen. Aber setz dich doch, Charles. Mach's dir bequem.«
»Bequem? Im Büro eines Toten? Ich weiß nicht recht...« Townshend zog sich widerstrebend einen Stuhl heran, und dabei fiel sein Blick auf das über dem Kamin aufgehängte Porträt eines gut aussehenden Mannes in einer Militäruniform aus der Zeit des Bürgerkriegs. »Ein Vorfahre?«
»Der erste Earl. Ist nur wenige Monate nach der Verleihung des Titels in der Schlacht von Newbury gefallen.«
»Sunderlands Großvater?«
»Ja, beachte das: der Großvater, nicht der Vater. Der zweite Earl gehörte zur gleichen Sorte von Intriganten und Opportunisten wie sein Sohn. Vielleicht wollte Sunderland zu jemand Bedeutungsvollerem aufsehen.«
»Und hast du etwas Bedeutungsvolles gesehen?« Townshend deutete mit dem Kinn auf die Stapel von Dokumenten.
»Das kann man wohl sagen. Sunderland scheint bei der Weitergabe von Meldungen des Geheimdienstes sehr wählerisch gewesen zu sein.«
»Hat er etwas Wichtiges zurückgehalten?«
»Es ist nur das Wichtige, das er zurückgehalten hat. Du kannst dich zusammen mit Carteret darauf stürzen, sobald wir alles zusammengetragen haben. Carteret hat mir übrigens gesagt, dass er vielleicht jemanden gefunden hat, der uns verlässlichere Meldungen über das Treiben am Hof des Prätendenten erstatten kann als diese Säufer in ihren Kilts, die wir bisher eingesetzt haben.«
»Baron von Stosch?«
»Genau der. Würdest du für ihn die Hand ins Feuer legen?«
»So wie für eine Diamantenkette am Hals einer Hure vom Haymarket. Aber er könnte von Nutzen sein.«
»Das wird er müssen, wenn ich diese
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