Die Mission des Zeichners
Zuversicht. Wenn er aber tatsächlich Recht hatte, musste er immer noch das Versteck finden und McIlwraith dazu bewegen, den Jungen freizulassen. Eine solche Entwicklung erschien Spandrel allerdings, wie sehr er es auch drehte und wendete, nicht im Entferntesten wahrscheinlich. Fest stand für ihn nur eines: Er musste es versuchen. Und dann gab es natürlich auch noch Estelle...
»Wagemaker?« Die Überraschung in Estelles Stimme spiegelte sich in ihrer ungläubigen Miene wieder. Der Morgen war gekommen... und der Moment, in dem Spandrel ihr das Ziel nannte. Sie saßen bereits reisefertig in der Kutsche. »Das war doch der Mann dieses Regierungsagenten, der im Duell mit Captain McIlwraith gestorben ist.«
»Ja. Es ist das Haus seines Bruders, das wir suchen. Bordon Grove. Es liegt hinter Egham mehrere Meilen tief im Wald.
»Aber warum? Was hat Wagemakers Bruder damit zu tun?«
»Ich sage es dir, sobald wir es gefunden haben.«
»Woher weißt du, wo er lebt?«
»Das sage ich dir dann auch.«
Spandrel hatte Estelle nie McIlwraiths Geschichte von seiner Fehde mit den Wagemakers erzählt. Sie für sich zu behalten, war seine kleine persönliche Würdigung zu McIlwraiths Gedenken gewesen. Aber der Schotte war nicht gestorben, und bald, sehr bald, würde Estelle das erfahren müssen.
Bereits beim Aufbruch begann das Pferd zu lahmen. Damit waren sie zur Umkehr gezwungen und verloren beinahe eine Stunde mit Warten, bis ihm ein Schmied neue Hufe angepasst hatte. So erreichten sie Egham erst am späten Vormittag, und als Bagshot in Sichtweite kam, war die Mittagszeit so gut wie vorüber. Das Wetter war klar und schön, und durch die eng beieinander stehenden Bäume längs des Weges raschelte eine leichte Brise. Eigentlich hätte sich Spandrel glücklich schätzen sollen, weil er an einem herrlichen Frühlingstag zusammen mit einer wunderschönen Frau in einer Prachtkutsche reisen durfte. Stattdessen stieg zunehmend Angst in ihm auf.
Im Roebuck Inn in Bagshot legten sie Rast ein, um das Pferd zu tränken. Spandrel wollte bei dieser Gelegenheit auch zu Mittag essen und setzte sich gegen Estelles Einwand, sie würden nur wertvolle Zeit verlieren, mit dem Argument durch, dass er hoffte, dem Schankstubenklatsch einiges Wichtige über den Herrn von Bordon Grove zu entnehmen.
»Was musst du denn noch wissen?«
»Alles, was ich erfahren kann.«
»Zu welchem Zweck?«
Es war dieselbe hartnäckig gestellte Frage, nur in anderer Gestalt. Was suchten sie hier? Ob Spandrel sie ihr offenbarte oder nicht, die Antwort war zum Greifen nahe. Er konnte den Moment der Enthüllung bestenfalls um Minuten hinauszögern.
Kaum hatte Spandrel die Wagemakers erwähnt, wechselten die Neunmalklugen in der Schankstube wissende Blicke. Ein weiterer Krug Bier genügte, um ihnen die Zunge zu lösen. In den Tagen des alten Henry Wagemaker war Bordon Grove ein blühender, gut geführter Gutshof gewesen. Doch Pech und Misswirtschaft hatten seinen Niedergang herbeigeführt. Der plötzliche Tod der jungen Dorothea Wagemaker (ob durch Unfall oder Selbstmord, blieb umstritten), so kurz nach dem Dahinscheiden ihres Vaters, hatte der Familie den Lebenssaft geraubt, und ihr Bruder Tiberius war von da an das geworden, was alle Anwesenden schon damals vorausgesagt hatten, nämlich ein Säufer und Verschwender. Ein weiterer Bruder, Augustus, hatte eine erfolgreiche Laufbahn bei der Armee eingeschlagen und war nach allgemeiner Auffassung bis vor kurzem mit seinen Geldüberweisungen für den aus Tiberius, ihrer kranken Mutter, einer geistig verwirrten Tante und zwei Bediensteten bestehenden Haushalt aufgekommen. Alle waren sich jedenfalls darin einig, dass der völlig verwahrloste und überwachsene Hof außer Disteln und Ungeziefer nichts mehr hervorbrachte. Von Augustus hieß es, er sei ungefähr ein Jahr zuvor in einem Duell irgendwo im Ausland erschossen worden, mit der Folge, dass die Familie überhaupt keine Einkünfte mehr erzielte. So erklärte man sich, warum Tiberius seine Speisekammer mit Wild aus dem königlichen Jagdgebiet auffüllte, was ihm freilich eine hohe, wenn auch nie bezahlte Geldbuße eingebracht hatte. Es wurde gemunkelt, dass der Wildhüter Longrigg ihn angeschwärzt hatte, der vor langer Zeit vergeblich um Dorothea geworben hatte, was in diesem Zusammenhang gewiss auch eine Rolle spielte.
In solch trüben Gewässern aus Gerüchten und Mutmaßungen versank der Name McIlwraith zunächst, ohne Wellen zu schlagen. Doch dann drangen langsam
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