Die Mission des Zeichners
wenn sie seinen Sohn töten. Und wenn sie ihn ermorden... sind wir so gut wie tot.«
»Ich kann da nicht das Geringste machen.«
»Du willst doch in den Windsor Forest.«
»Wirklich?«
»Ich komme mit.«
»Nein.«
»Mit meiner Kutsche sind wir schneller als du allein auf einem geliehenen Klepper.«
»Du fährst nicht mit!«
»Ich fahre, so oder so, und bin dann bei deiner Ankunft längst da. Warum Zeit verschwenden, wenn wir so wenig haben? Wir können bis zum Anbruch der Nacht in Windsor sein. Es geht um meinen Kopf genauso wie um deinen. Du kannst mich nicht zurückweisen.« Sie blieb stehen und maß ihn mit einem Blick. »Oder siehst du das anders?«
38 Die Jagd im Wald
Wider besseres Wissen zu handeln, war für Spandrel nicht gerade eine neue Erfahrung. Auch hatte ihn sein Weg nicht in jedem Fall in eine Katastrophe geführt. Und das machte ihm die Entscheidung umso schwerer. Estelles Argumente für ein gemeinsames Vorgehen waren nicht von der Hand zu weisen. In einer Hinsicht jedenfalls war er sich sicher, dass sie nicht log: Walpole würde sie beide vernichten, wenn sein Sohn nicht lebend entkam. Und er würde auch ganz gewiss seine Drohung wahr machen und Spandrels Mutter töten. Da die Zeit drängte und sie beide dasselbe Interesse hatten, ergab ihre Allianz durchaus Sinn.
Doch früherer Verrat und gegenwärtige Zweifel waren Wegbegleiter, als sie an diesem Nachmittag in Mrs. Davenants prächtiger schwarzgelber Kutsche auf der Straße, vorbei an all den in der warme Frühlingssonne dösenden Dörfern, in westlicher Richtung fuhren. Spandrel hatte das Bild von Estelle noch so vor Augen, wie sie im Hafen von Rom vor ihm gestanden hatte: stolz, stur und unbezähmbar. Das war ihre wahre Natur, und sie würde sich nie ändern. Doch so merkwürdig es war, sie traute ihm und setzte darauf, dass er das ihnen beiden drohende Verhängnis noch abwenden konnte. Zwar hatte er sich geweigert, ihr zu verraten, wohin genau sie fuhren und aus welchem Grund, doch selbst das hatte nicht vermocht, sie zu entmutigen.
Sie kannten einander zu gut, sowohl in ihren Stärken als auch ihren Schwächen. Und das war zugleich das Problem: Zwischen ihnen lag zu viel Wissen voneinander - zu viele bittere Erfahrungen -, als dass sie wirkliches Vertrauen aufbauen konnten. Sie steckten zusammen, weil sie mussten. Und das Schweigen, das Spandrel beharrlich wahrte, nährte seine Hoffnung, dass es außer dieser Notwendigkeit tatsächlich keinen anderen Grund gab. Doch Schweigen war nicht Estelles Sache.
»Du bleibst auf der Straße nach Exeter«, bemerkte sie, als sie an der Weggablung hinter Hounslow nicht abbogen. »Wir fahren also gar nicht nach Windsor. Heißt das, dass unser Ziel irgendwo im Süden des Waldes liegt?«
»Wir steigen für die Nacht in Staines ab.«
»Und am Morgen?«
»Da stellt sich heraus, ob wir auf dem Holzweg sind oder nicht.«
»Du bist kein Dummkopf, William.« (Worüber sich Spandrel im Augenblick alles andere als sicher war.) »Das warst du vielleicht mal. Aber diese Zeiten sind vorbei.«
»Hüll dich in deinen Umhang.«
»Mir ist nicht kalt.«
»Es geht mir nicht um dein Wohlbefinden. In der Hounslow Heath gibt es mehr als genug Trampelpfade. Ich will nicht, dass deine schönen Kleider unwillkommene Aufmerksamkeit erregen.«
»Dann treib die Pferde an. Wir können jeden Trampelpfad mit Staub zudecken.«
»Ich brauche sie morgen frisch.«
»Warum? Fahren wir morgen noch sehr viel weiter?«
Spandrel bedachte sie mit einem verkniffenen Lächeln. »Du gibst wohl nie auf, was?«
»Warum sagst du mir nicht einfach, wohin wir fahren?«
»Ich sag's dir morgen.«
»Warum nicht jetzt?«
Ja, warum nicht jetzt? Weil Spandrel es nicht wagte, es sich selbst einzugestehen. Er befürchtete, morgen früh beim Aufwachen feststellen zu müssen, dass sie und die Kutsche verschwunden waren. Und diesmal hatte er nicht vor, zurückgelassen zu werden.
So müde er auch war, Spandrel fand im Gasthaus von Staines kaum Schlaf. Der Wirt hatte nur ein Einzelzimmer für Estelle, sodass Spandrel sich gezwungen sah, ein Bett mit einem Stoffhändler aus Devizes zu teilen, der schnarchte wie ein Walross und sich zu allem Überfluss auch wie eines hin und her wälzte. Nicht, dass Spandrel sich einen ungetrübten Schlaf erhofft hätte. Seine Vermutung, dass McIlwraith Edward Walpole auf dem Grund von Bordon Grove gefangen hielt, beruhte auf wenig mehr als Spekulation. Gleichwohl trug ihn eine fast schon unheimliche
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