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Die Mission des Zeichners

Die Mission des Zeichners

Titel: Die Mission des Zeichners Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goddard
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gegen »Willem Spandrel«. Einer Erläuterung durch den Großen Janus bedurfte es nicht. Aertsen ließ es sich nicht nehmen, jeden Zweifel an der Bedeutung dieser Worte zu beseitigen. »Das heißt Todesstrafe, Spandrel. Verstehen Sie das?«
    »Ich verstehe.«
    »Das Urteil muss jetzt noch öffentlich verkündet werden. Hier entlang.«
    Sie stiegen eine Treppe in einen anderen mit Marmor verkleideten Saal hinab, der auf der Straßenseite weit geöffnete Fenster aufwies, durch die die draußen vorbeigehenden Amsterdamer die Szene verfolgen konnten. Spandrel registrierte etwa ein halbes Dutzend Zuschauer, deren Gestalten sich schemenhaft vor dem über den Platz flutenden Sonnenlicht abzeichneten. Im nächsten Augenblick wurde er gezwungen, sich zu den Magistratsbeamten umzudrehen, die inzwischen auf den Marmorstufen vor der Wand gegenüber dem Eingang Platz genommen hatten. Über ihnen wachten Statuen von weinenden Mädchen, und dahinter prangten Fresken mit Totenschädeln, die aus tiefen Augenhöhlen in den Saal starrten, und sich windenden Schlangen. Im Old Bailey war er nicht. Und dafür war Spandrel dankbar. Er hatte gesehen, wie am Old Bailey Männer unter Beschimpfungen und Hohngelächter zum Tode verurteilt wurden. Hier herrschte eine beklemmende Würde.
    Der Oberste Richter sagte erneut seinen Spruch auf, allerdings weniger flüchtig als im Justizpalast. Ein Sekretär kritzelte etwas in ein Buch, und damit war es vollbracht. Der Große Janus stieß einen tiefen, schmerzhaften Seufzer aus, dann führte er Spandrel so sanft wie ein Hirte hinaus.
    Aertsen begleitete das Paar noch bis zur Tür von Spandrels Zelle. Dort sah er dem Engländer mehrere Sekunden lang tief in die Augen, ehe er sagte: »Sie sind zum Tod durch den Strick am öffentlichen Galgen von Volewijk verurteilt worden. Haben Sie noch Fragen?«
    »Wann ist es so weit?«
    »Die nächsten Erhängungen finden in elf Tagen statt.«
    »Welcher Tag ist heute?«
    »Das wissen Sie nicht?«
    Spandrel zuckte die Schultern. »Ich habe mein Zeitgefühl verloren.«
    »Am zweiten Juni.«
    »Am zweiten?«
    »Ja. Ist das so wichtig?«
    »Am siebten habe ich Geburtstag.«
    »Nicht hier, Spandrel, hier wäre das der achtzehnte. Zu Ihrem Glück, würde ich sagen.«
    »Warum zu meinem Glück?«
    »Sie brauchen nicht mehr älter zu werden.« Um einen von Aertsens Mundwinkeln kräuselte sich ein dünnes Lächeln.
    »Ist das ein Teil dessen, was man Abrechnung auf Holländisch nennt?«
    Das Lächeln verschwand. Aertsen drehte sich zum Großen Janus um, bellte: »Sluit hem op\«, und stolzierte davon.
    Viscount Townshend lief leichtfüßig die Stufen zum Schatzamt in der Whitehall hinauf, durch die gute Nachricht beflügelt, die er mitbrachte. Die Düsternis, die Walpole seit dem grotesken Missgeschick bei Kellys Verhaftung zur Schau trug, würde sich dank der Geheimdienstmeldung in seiner Tasche bald auflösen oder zumindest aufhellen. Und die Dankbarkeit seines Schwagers war schon immer eine wunderbare Medizin gewesen.
    Als er sich Walpoles Vorzimmer näherte, ging die Tür auf, und eine bekannte Gestalt kam heraus -Walpoles Bruder, das treue Faktotum Horatio. Als Staatssekretär im Schatzamt, dessen Aufgaben sich darauf beschränkten, ausgestattet mit der Vollmacht des Schatzkanzlers Wahlen zu kaufen und Vergünstigungen zu verkaufen, ging Horatio in diesem Gebäude ein und aus. Trotzdem wunderte es Townshend, ihn gerade jetzt zu sehen. Horatio hatte zwar in einem Brief Einzelheiten über seine Verhandlungen mit der holländischen Regierung über die Ausleihe von Soldaten erwähnt, aber Townshend hätte eigentlich unmittelbar nach seiner Rückkehr einen persönlichen Bericht von ihm erwartet. Schlagartig wurden seine Schritte schwerer.
    »Ich wusste nicht, dass du wieder da bist, Horace.« »Was? Ach, du bist das, Charles.« Der jüngere Walpole war merklich verwirrt. »Ja, ich bin gestern Abend zurückgekommen.«
    »Wann suchst du mich auf?«
    »Ich kann nicht. Das tut mir fürchterlich Leid, alter Knabe. Aber das lässt sich nicht ändern.«
    »Was lässt sich nicht ändern?«
    »Robin schickt mich schon wieder auf Reisen.«
    »Wohin?«
    »Kann ich dir nicht sagen. Leider. Bin auf Verschwiegenheit eingeschworen worden. Er wird es dir bestimmt erklären. Er führt ja ein Hundeleben, weißt du. Und mich lässt er rennen wie einen Hund.«
    Und genau das tat Horatio auch.
    Townshend war klug genug, Walpole nicht zu fragen, auf was für eine Mission er seinen Bruder

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