Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mission des Zeichners

Die Mission des Zeichners

Titel: Die Mission des Zeichners Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goddard
Vom Netzwerk:
verlorenen Fall wie diesem getan hätte. Einen Fluchtversuch wagen? Aber die festen Mauern und dicken Gitter würden gewiss auch ihm widerstehen. Die Wahrheit sagen, alles, was er über das Grüne Buch wusste, öffentlich vor Gericht erklären und die Gier der Großen anprangern? Aber das würde sein Leben nur um ein paar Stunden verlängern, und die wären mit überflüssigen Qualen in der Folterkammer erfüllt. Nein, McIlwraith wäre genauso hilflos wie Spandrel dem Schicksal ausgeliefert gewesen.
    Zwischen den Gittern vor seinem winzigen Fenster fiel Spandrel eine Spinne auf, die sich ein Netz webte. Vage fiel ihm eine halb vergessene Legende über McIlwraiths Heimat wieder ein, nach der dieses Tierchen mit seinem unermüdlichen Spinnen Robert the Bruce zu seinen Taten inspiriert hatte. Aber deutlicher hatte er einen abergläubischen Spruch seiner Mutter in Erinnerung: »Spinne am Morgen macht keine Sorgen, doch Spinne nachts im Schlummer bringt Schmerz und Kummer.«
    War es noch Morgen, oder war bereits die Nacht angebrochen? Ein paar Augenblicke lang dachte Spandrel angestrengt nach, um sich dann über sich selbst zu ärgern, weil er sich mit so etwas beschäftigte. Was für einen Unterschied machte das denn schon? Ob Morgen oder Nacht, er wusste, was der nächste Tag für ihn bereithielt.

43 Die Mühlen der Gerechtigkeit
    Im Amsterdamer Rathaus waren es von den Verliesen nicht mehr als zwei Stockwerke zu den Gerichtssälen. Der kurze Weg, den Spandrel noch nie zuvor gegangen war, stellte einen verblüffenden Übergang von Düsternis und Enge zu Pracht und Größe dar. Das Magistratsgericht tagte in einem riesigen, glitzernden Saal, und der Magistrat selbst bestand aus einem dunkel gekleideten, halben Dutzend Bürgern mit ernsten Gesichtern, die unter frommen Gemälden und allegorischen Fresken in einer Reihe nebeneinander saßen. Die Verhandlung führte Richter Lanckaert, gelegentlich unterbrochen von einem der Magistratsherren, der einen höheren Rang einzunehmen schien als die anderen. Aertsen hockte stumm hinter einem Pult an der Seite. Spandrel, der wieder vom Großen Ja-nus bewacht wurde, musste regungslos dastehen und zuhören. Er verstand nicht ein Wort, konnte sich aber denken, worauf das Ganze hinauslief.
    Nach nicht allzu langer Zeit verkündete der Oberste Magistrat mit sonorer Stimme einen formell klingenden Spruch, und der Große Janus war so freundlich, Spandrel die Übersetzung ins Ohr zu raunen. »Schuldig, mijn vreind.« Von Überraschung konnte nicht die Rede sein. Aber irgendwie hatte Spandrel bis zuletzt insgeheim geglaubt, es würde nicht so enden. Natürlich war das die pure Selbsttäuschung, aber es hatte so kommen müssen. Sich etwas anderes einzureden, hatte zu den wenigen Annehmlichkeiten gehört, die man ihm in dieser Lage nicht hatte verweigern können. Doch jetzt wurden ihm auch diese Annehmlichkeiten eine nach der anderen entrissen. Und bald würde keine davon übrig bleiben. Keine einzige.
    Spandrel wurde zurück in den Bauch des Gebäudes eskortiert, was ihm allerdings merkwürdig vorkam, zumal offenbar noch kein förmliches Urteil verhängt worden war. Von Aertsen, der die kleine Prozession anführte, erhielt er eine Art Erklärung. Er drehte sich kurz um und sagte: »Der Justizpalast ist auf der anderen Seite.« Spandrel glaubte dem zu entnehmen, dass er die andere Seite des Rathauses meinte. Und wenn man ihn auf einem Umweg dorthin führte, dann wohl um den Stadtvätern eine unangenehme Begegnung mit einem ungewaschenen Häftling zu ersparen. Dass Aertsens Worte einen symbolischen Sinn gehabt haben könnten, hielt er für unwahrscheinlich.
    Schließlich ging es wieder nach oben, und sie traten in eine Halle, die noch gewaltiger war als der Gerichtssaal. Spandrel konnte einen Blick auf eine riesige Statue des Atlas werfen, der eine mit Sternen besetzte Weltkugel auf den Schultern trug, ehe er in einen Saal mit Marmorboden und -wänden geführt wurde, in dem der Vogt und die Verwaltungsbeamten, denen diesmal ein Pastor zur Seite stand, schon auf ihn warteten. Einen Moment lang war er versucht, gegen die Anwesenheit eines Pastors Einspruch zu erheben. Hatte er Dalrymple nicht ausdrücklich erklärt, dass er keinen brauchte? Aber dann sagte er sich, dass das holländische Gesetz die Anwesenheit eines Geistlichen zwingend vorschrieb, und er war nun einmal ein Gefangener der holländischen Justiz.
    Ohne weitere Zeremonie erhob sich der Oberste Richter und verkündete sein Urteil

Weitere Kostenlose Bücher