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Die Mission des Zeichners

Die Mission des Zeichners

Titel: Die Mission des Zeichners Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goddard
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sich sonst vermutlich verlaufen würde. Schließlich war das nicht London, und er hatte keine Karte, weder aus Papier noch im Kopf. Folglich war es sicherer zu bleiben, wo er war.
    Aber auch das Oudezijds Herenlogement hielt Gefahren bereit. Als die Schankstube sich immer mehr füllte, setzten sich drei Trinker zu Spandrel an den Tisch, einer davon hager, lebhaft und gesprächig, die anderen zwei gedrungen und mit teigigen Gesichtern, die sich damit zufrieden gaben, ihre Pfeifen zu paffen und kräftig dem Inhalt ihrer Krüge zuzusprechen, während ihr Begleiter munter plauderte. Der Redselige versuchte bald, Spandrel ins Gespräch zu ziehen, und als er merkte, dass sie einen Engländer neben sich hatten, begann er beglückt, mit seinen Sprachkenntnissen zu glänzen.
    Spandrel war mittlerweile beschwipst und zusätzlich benebelt von seiner Selbstzufriedenheit. Jan, der Plauderer, zeigte sich ungemein begierig, von ihm eine Schilderung des Londoner Lebens zu hören, und grinste dabei in einem fort, während das paffende und schluckende Paar - Henrik und Roelant - ein zügiges Zechtempo vorgaben, bei dem mitzuhalten Spandrel sich verpflichtet fühlte. Zwanglos wurden ein paar Partien Karten gespielt, auch wenn es Spandrel schwer fiel, Pique von Kreuz zu unterscheiden. Immer wieder stießen sie auf ihre Gesundheit und Freundschaft an. Ein Gang zur Toilette bestätigte Spandrel, dass er allmählich unsicher auf den Beinen wurde. Dann aber sagte er sich, dass ein paar tiefe Atemzüge an Bord des Trekschuit das Problem schnell beheben würden, vergaß dabei allerdings, dass es bis zur Abfahrt noch ein paar Stunden dauerte. Schließlich ließ er sich mit Jan auf einen Vergleich zwischen den Frauen in England und Holland ein, der in eine verhängnisvolle Wette ausartete. Jan kannte ganz in der Nähe ein Musico, wie er das nannte, wo besonders reizende junge Frauen zu einem vernünftigen Preis zu haben seien. Spandrel solle sich eine aussuchen und würde dann ihre Überlegenheit gegenüber allem, was London zu bieten hätte, einräumen müssen. Nun, der Tee mit Estelle de Vries hatte Spandrels sexuellen Appetit unbestreitbar geweckt, so wie das Trinken mit Jan, Henrik und Roelant seine Sinne getrübt hatte. Und als ihm Jan versicherte, dass sie bis zur Abfahrt längst wieder zurück sein würden, nahm er die Herausforderung an.
    Dass das ein Fehler war, wurde ihm schon beim Verlassen des Gasthofs bewusst. Statt ihm zu einem klaren Kopf zu verhelfen, versetzte ihm die eiskalte Nachtluft einen solchen Schock, dass sich vor seinen Augen alles drehte. Der Schwindel und die Finsternis um ihn herum raubten ihm sofort jede Orientierung. Jan ging voran, Spandrel torkelte mühsam hinterher, wobei er sich wiederholt in dem gepflasterten schwarzen Nichts zwischen den wenigen Straßenlaternen und den sich in der Gracht spiegelnden Lichtern von Henrik oder Roelant stützen lassen musste.
    Irgendwann ließen sie die Gracht hinter sich, bogen erst rechts, dann links ab und landeten schließlich in einem engen Durchgang, der nur insofern beleuchtet zu sein schien, als er am anderen Ende weniger dunkel war. Die Lust auf ein Abenteuer war Spandrel längst vergangen; seine Begierde hatte ihn restlos verlassen. Er versuchte, Jan einzuholen, und rief ihm nach, er möge doch stehen bleiben. »Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist, Jan. Ich fühle mich nicht...« Plötzlich stolperte er, ohne zu wissen, worüber. Er fiel zu Boden, rollte in den Straßengraben und erhob sich dann mühsam auf die Knie. Verzweifelt sah er sich nach Hilfe um, aber niemand leistete ihm Beistand. Stattdessen bekam er einen Tritt in den Magen, der alle Luft aus seinem Körper herauspresste. Brechreiz stieg in ihm hoch. Ein zweiter Tritt, und zur Übelkeit kam ein rasender, lähmender Schmerz hinzu. Dann traf ihn ein stumpfer, schwerer Gegenstand an der Schläfe. Hilflos fiel er in den Graben zurück. Zum Denken kaum noch fähig, registrierte er nur noch seine Angst und die Unmöglichkeit zu entkommen. Sie hatten ihn zum Narren gehalten, und er hatte sich wie einer benommen. Diese Kerle waren Diebe und wahrscheinlich sogar Mörder. Es war vorbei mit ihm.
    Zwischendurch musste er sich übergeben haben. Verschwommen sah er Erbrochenes an einem Ärmel und hörte einen der Männer unflätig auf ihn fluchen. Das war Henrik. Oder Roelant. Spandrel vermochte sie nicht mehr zu unterscheiden. Jedenfalls bekam er einen weiteren Hieb gegen den Kopf, und der Schleier vor seinen

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