Die Mission des Zeichners
wussten, was er vorhatte...«
»Sollten wir nicht lieber zusehen, dass wir sie wieder fassen, statt darüber zu streiten, wer schuld ist? Es wird doch sicher eine Hintertür geben. Es sei denn...« Cloisterman sah dem anderen fest in die Augen. Normalerweise beugte er sich in allem den Justizbehörden, jetzt aber war die Zeit gekommen, ein bisschen Eigensinn zu zeigen - ein bisschen von McIlwraiths Geist, schoss es ihm in den Sinn. »Es sei denn, natürlich, Sie wollen Ihr Versprechen halten und sie entkommen lassen.«
13 Über das Meer
»Wir werden uns so langsam von hier entfernen wie zwei Professoren bei einem Spaziergang, Spandrel.« McIlwraith sicherte seine Pistolen und ließ sie in die Taschen seines Überziehers gleiten. »Aber beim geringsten Fluchtversuch schieße ich Sie ohne Zögern nieder. Zweifeln Sie nicht einen Moment daran. Ich brauche Sie, aber nicht so dringend, dass ich Widerstand dulden würde. Sie sind ein entlaufener Häftling, vergessen Sie das nicht. Wahrscheinlich würde ich für meine Mühen sogar eine Belohnung erhalten. Wir müssen jetzt ein Stück zu einem sicheren Haus gehen. Sobald wir dort sind, erkläre ich Ihnen, was ich von Ihnen will. Bis dahin werden Sie den Mund geschlossen und die Ohren offen halten. So, jetzt gehen Sie geradeaus.«
Die Schlichtheit dieser Anweisungen war Spandrel merkwürdig willkommen. Er hatte keine Ahnung, wer - oder was - McIlwraith war, doch immerhin hockte er nicht mehr in der engen Zelle unter dem Stadhuis und war die Fesseln los, die seine Handgelenke wund gescheuert hatten. Er war frei -bis zu einem gewissen Grad. Und - nach Cloistermans Worten zu urteilen - nicht einen Augenblick zu früh. Überall lauerte Verrat. Niemandem war zu trauen. Aber fürs Erste ging er durch die Straßen von Amsterdam und atmete die klare, von der Sonne erwärmte Luft ein. Das genügte. Es war in Wahrheit all das, wonach er sich in den letzten Tagen gesehnt hatte.
Ihr Weg führte sie über einen belebten Marktplatz und weiter durch eine Vielzahl von Gassen und Straßen an Kanalufern zum Hafen. Als sie das von Menschen wimmelnde Hafenviertel erreichten, bekamen sie zwischen den Hausdächern östlich des Montelbaanstoren das Meer zu sehen. Doch sie liefen weiter in Richtung Westen, vorbei an den vielen Kais, und überquerten eine Brücke nach der anderen. Allmählich verlor Spandrel das Gefühl, hier aufzufallen. Niemand wusste, wer er war, und niemand kümmerte sich um ihn. Eigentlich hätte er versuchen müssen, aus der Stadt zu fliehen. Aber draußen auf den langen geraden Straßen, die sich durch die flachen Felder eines ihm fremden Landes zogen, hätte er sofort Verdacht erregt. Die Stadt, die sein Gefängnis gewesen war, diente ihm jetzt als seine einzige Zuflucht.
Schließlich erreichten sie ein ruhigeres Viertel am westlichen Ende des Hafens. Hier lagen die Lagerhallen zumeist verriegelt und verlassen da. Auf einer der See zugewandten Bastei der Stadtmauer ragte eine Windmühle in den Himmel. Nicht weit davon schob McIlwraith Spandrel in eine Gasse, die von einem hohen Holzzaun und reihenförmig gebauten Lagerhallen begrenzt wurde. Hinter dem Zaun war ein Sägen und Hämmern zu hören, doch diese Gasse hatten sie ganz für sich. Sie mündete in einen weiteren, an einem Seitenarm des Hafens gelegenen Kai. In der Ferne sahen sie einen Lastkahn vorbeigleiten.
»Das ist weit genug«, verkündete McIlwraith unvermittelt und blieb vor den Toren eines Lagerhauses stehen, das in Spandrels Augen genauso aussah wie alle anderen links und rechts davon. Über dem Sturz waren die Zahl 52 und das Wort SPECERIJEN in das Holz graviert. McIlwraith zog einen Schlüssel aus der Tasche, sperrte das Tor auf und winkte Spandrel ins Innere.
In der Halle war es dunkel und kalt wie in einer Gruft, aber trocken, und ein süßer Geruch hing in der Luft. McIlwraith zündete eine von einem Sparren herabhängende Laterne an, doch ihr Licht reichte nicht weiter als bis zu einem Haufen kunterbunt durcheinander liegender Kisten und einer Bank, auf der ein Bastkorb stand. Es blieb Spandrel überlassen, zu raten, wie weit es von dort bis zur Rückwand sein mochte. In der Dunkelheit war ein ständiges Rascheln und Tapsen zu hören.
»Wir bleiben hier bis zum Anbruch der Nacht«, bestimmte McIlwraith. »Es gibt hier irgendwo Kohle und ein Kohlenbecken. Erfrieren müssen wir also nicht. Außerdem...« Er ging zur Bank hinüber und löste die Riemen um den Bastkorb. »Die Ratten haben das noch
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