Die Mission des Zeichners
Glück, dass die Holländer nicht geneigt scheinen, viel Aufhebens von der Angelegenheit zu machen.«
»Das ist nicht so sehr eine Frage des Glücks.«
»Wirklich nicht?« Dalrymple musterte Cloisterman skeptisch. »Wie Sie Ihren Frieden mit den holländischen Behörden geschlossen haben, möchte ich lieber nicht wissen. Aber ich habe Sie nicht zu mir gerufen, um Ihnen Vorhaltungen zu machen. Für eine solche Aufgabe fehlt mir leider die Muße.« Das war, wie Dalrymples Miene zu entnehmen war, ein Umstand, den er außerordentlich bedauerte. »Ist Ihnen überhaupt klar, was für ein Schatten mit dem neuen Minister über unser aller Zukunft schwebt?«
»Lord Townshend ist eindeutig nicht vergleichbar mit Lord Stanhope.«
»Er steht nicht mal für sich selbst, Cloisterman. Walpole sagt ihm, was er denken und tun soll. Und über kurz oder lang wird Walpole noch sehr viel mehr Männern sagen, was sie denken und tun sollen. Für heute war der Bericht des Brodrick-Ausschusses an das Unterhaus vorgesehen, wussten Sie das?«
»Ich muss gestehen, nein.«
»Seine Ergebnisse, wer immer dadurch belastet wird, werden Walpole nur noch mehr den Rücken stärken. Wir müssen ab sofort nach seiner Pfeife tanzen. Verstehen Sie das? Wir können es uns nicht leisten, dass bei ihm Zweifel an unserer Treue aufkommen.«
»Er wird gewiss keinen Anlass dazu haben.«
»In diesem Fall wird es Sie freuen zu hören, dass Sie eine Gelegenheit erhalten, Ihre Treue zu der neuen Führung zu beweisen.«
»Ach ja?« Cloisterman freute sich nicht. Im Gegenteil. Er bekam ein flaues Gefühl, ja, beinahe Panik. »Eine Gelegenheit welcher Art?«
»Ein Sondergesandter von Lord Townshend - folglich von Walpole - wartet im Goude Hoft auf Sie. Das ist ein Gasthof hier in der Nähe. Der Gesandte ist Soldat. Colonel Augustus Wagemaker. Zuverlässiger als McIlwraith, aber nicht minder rau, würde ich sagen.«
»Und er wartet auf mich?«
»Ja. Sie kennen sich in dieser leidigen Angelegenheit besser aus als jeder andere. Da fällt die Wahl zwangsläufig auf Sie.«
»Wofür?«
»Wagemaker wird Ihnen die Anforderungen erklären. Sie werden Ihr Bestes - Ihr Allerbestes - tun, um sie zu erfüllen.«
»Können Sie mir einen Hinweis auf ihre Natur geben?«
»Bedeutsam, würde ich annehmen. Aber durchaus von Ihnen zu bewältigen. Sie treten eine Reise an, Cloisterman.« Dalrymples Lächeln war wieder aus seinem Versteck nach vorne gekrochen. »Und es könnte eine lange werden.«
Der Bericht des Brodrick-Ausschusses, über dessen Inhalt Dalrymple einstweilen nur spekulieren konnte, war inzwischen den Unterhausabgeordneten in London bekannt. Brodrick hatte ihn vier Stunden lang vorgelesen, bis ihm die Stimme versagte und er durch einen Sekretär abgelöst werden musste. Die Verwicklungen und undurchsichtigen Machenschaften in der Geschichte, die da erzählt wurden, waren beklemmend, doch die sich daraus ergebenden Anschuldigungen gegen die Regierung erschreckend einfach. Bestechungsgeschenke in Form von Anteilen am Kapital der South Sea Company, die später mit garantiertem Gewinn verkauft werden konnten, waren an bestimmte Minister verteilt worden, damit sie trotz der himmelschreienden Unregelmäßigkeiten bei der Umwandlung der Staatsschulden beide Augen zudrückten. Unregelmäßigkeiten wurden bekannt, die der Gesellschaft während eines einzigen Geschäftsjahres zu tilgende Verbindlichkeiten in Höhe von vierzehneinhalb Millionen Pfund beschert hatten, die durch eine Bürgschaft des Schatzamtes nur bis zu zwei Millionen Pfund gedeckt waren, mit anderen Worten: Zahlungsunfähigkeit in großem, um nicht zu sagen groteskem Ausmaß. Auf der Liste der namentlich genannten Regierungsmitglieder, die Bestechungsgelder erhalten hatten, standen wie bereits erwartet: Schatzkanzler John Aislabie, Postminister James Craggs der Ältere, Charles Stanhope, Staatssekretär im Schatzamt, und - womit man nicht unbedingt gerechnet hatte - der Dritte Earl of Sunderland, Charles Spencer, seines Zeichens Erster Schatzkanzler und Oberkammerherr am königlichen Hof.
Wie das Parlament im Lichte eines derart vernichtenden Berichts weiter verfahren würde, war noch unklar, als die Sitzung am Abend vertagt wurde. Als Mittel der Wahl bot sich die Absetzung der beschuldigten Minister an, doch dann hätte man nach dem Gesetz die Verurteilung und Bestrafung dem Oberhaus überlassen müssen. Viele Abgeordnete zogen es deshalb vor, die Schuldigen, ob Adelige oder Gemeine, also auch
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