Die Mission des Zeichners
sämtliche Direktoren, selbst zur Verantwortung zu ziehen. Auf die Entscheidung darüber musste man aber noch einen Tag warten.
Manche Angelegenheiten ließen jedoch keine Verzögerung zu. Der Bericht hatte den Minister für die südlichen Gebiete zwar nicht der persönlichen Bereicherung beschuldigt, wohl aber der Vermittlung von Bestechungsgeldern an die Duchess of Kendal und ihre angeblichen Nichten. Die Herzogin, geborene Ehrengard Melusina von der Schulenburg, war keine Geringere als die öffentlich anerkannte Mätresse des Königs. Seine eigentliche Frau lebte seit siebenundzwanzig Jahren in einem deutschen Schloss in Verbannung, nachdem der Monarch infolge einer Affäre seiner Frau mit einem schwedischen Grafen die Scheidung aufgrund so genannter Nichterfüllung der ehelichen Pflichten erwirkt hatte. Die »Nichten« der Herzogin wiederum waren in Wahrheit ihre Töchter, die sie vom König hatte. Ihre Korruption - sollte sie bewiesen werden - würde am König persönlich haften bleiben. Craggs konnte zu diesem Punkt nicht mehr verhört werden. Die Pocken hielten ihn in ihrem tödlichen Griff. Und sein Amtskollege, Viscount Townshend, hatte eine reine Weste. Doch eine unangenehme Aufgabe wurde ihm trotzdem zugewiesen: Er musste Seiner beunruhigten Majestät erklären, wie man den Ruf der königlichen Damen am besten schützen könne.
So kam es, dass Lord Townshend zu einer für solche Audienzen unerhört späten Stunde vom türkischen Oberhofkammerdiener, dem unergründlichen Mehmet, ins königliche Séparé gebeten wurde. Dort wartete bereits der kaum weniger unergründliche Earl of Sunderland, ein Mann mit schmalem, schiefem Gesicht, in dem ein Ausdruck zwischen Lächeln und finsterem Blick festgefroren schien, und eng beieinander liegenden Augen, die einem ständig auswichen. Er begrüßte Townshend auf seine übliche kühle Art und zeigte sich völlig unbeeindruckt von der früher am Abend im Unterhaus gegen ihn erhobenen Beschuldigung, er habe Anteile an der South Sea Company im Wert von fünfzigtausend Pfund quasi als Schweigegeld angenommen.
Doch während Sunderland inmitten des Sturms Ruhe bewahrte, hatte der König sie verloren. Es war schon immer schwierig gewesen, Gespräche mit ihm zu führen, allein schon wegen seines gestelzten Englisch, seiner starren Züge und seiner ungeselligen Art, doch Townshend erkannte auf den ersten Blick, dass ihn die ehrabschneidenden Vorwürfe des Ausschusses gegen seine geliebte Mätresse an einer wunden Stelle getroffen hatten. »Sie hatten nicht das Recht, solche Dinge zu sagen!«, stieß er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. »Herr Craggs hat der Herzogin geholfen. Was ist verwerflich daran?«
»Ich bin sicher, dass Lord Townshend nichts Verwerfliches daran sieht«, sagte Sunderland.
»Auf keinen Fall, Majestät«, bestätigte Townshend eilig. »Und ich bin zuversichtlich, dass sich das Parlament bei seiner Bewertung des Berichts nicht mit dem Erwerb irgendwelcher Anteile durch die Herzogin beschäftigen wird.« (Sie hatte sie natürlich nicht persönlich erworben, aber er tat gut daran, ihre Verwicklung ins Reich der Fabel zu verweisen.)
»Der Erwerb von Anteilen, durch wen auch immer«, sagte der König, jedes Wort betonend, »ist außerhalb seiner Zuständigkeit.«
Townshend warf Sunderland einen verstohlenen Blick zu. Was - oder vielmehr wen - meinte der König mit »durch wen auch immer«? Er konnte sich darauf verlassen, dass sein Oberkammerherr die Antwort wusste. »Ich befürchte, Majestät, dass es sich für zuständig erklären wird.«
»Vielleicht könnte Ihr Schwager es den Abgeordneten ausreden«, meinte Sunderland und zeigte ein Lächeln statt des gewohnheitsmäßig finsteren Blicks.
»Er hat sie schließlich auch davon abgebracht, den Bericht drucken zu lassen.«
»Drucken?« Helles Entsetzen stand dem König ins Gesicht geschrieben. »Wir wollen nichts Gedrucktes!«
»Und das wird es auch nicht geben, Sir.«
»Seine Majestät ist wegen Mr. Knights... Unterlagen beunruhigt, Townshend. Wie kommt es, dass es Ihren Untergebenen nicht gelang, sie vollständig zu bergen?«
»Knight hat Vorkehrungen getroffen, um uns einige seiner... heikleren... Dokumente vorzuenthalten. Aber wir sind ihnen auf der Spur.«
»Wo ist es?«, schaltete sich der König ein, und auf Deutsch fügte er knurrend hinzu: »Das Grüne Buch?« Offenbar brachte er es nicht über sich, es auf Englisch zu benennen.
»Wir tun alles, um es zu finden,
Weitere Kostenlose Bücher