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Die Mission des Zeichners

Die Mission des Zeichners

Titel: Die Mission des Zeichners Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goddard
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ist nie dazu gekommen. Bis heute jedenfalls. Wir vereinbarten den Tag und die Uhrzeit, doch am Vorabend bat Dorothea ihren Bruder inständig, sich bei mir zu entschuldigen. Als er sich weigerte, wünschte sie ihm leise eine gute Nacht, ging die Treppe bis zum obersten Stockwerk hinauf und stürzte sich über das Geländer in den Treppenschacht hinunter.«
    Spandrel schnappte nach Luft. »Sie hat sich umgebracht?«
    McIlwraith nickte grimmig. »Es war ein Sturz aus der Höhe mitten auf den Steinboden des Flurs. Der sichere Tod. Und der einzige sichere Weg, das Duell zu verhindern. Im Ärmel hatte sie meinen Brief verborgen, in dem ich meine Weigerung, die Forderung zurückzuziehen, mit pathetischen Worten gerechtfertigt hatte. Augustus hat ihn natürlich gefunden. Er hat Habichtsaugen, das muss ich ihm lassen. Und der Fund ermöglichte es ihm irgendwie, seinen eigenen Anteil an der Schuld zu vergessen. Er schob die ganze Verantwortung mir zu. Das Duell wurde natürlich als Zeichen der Achtung vor Dorothea abgesagt, wie sie von vornherein gewusst hatte. Augustus fasste das allerdings nur als Aufschub bis nach ihrer Beerdigung auf.«
    »Aber Sie nicht?«
    »Nein. Ich wäre nicht mehr dazu in der Lage gewesen, nicht nachdem Dorothea ihr Leben geopfert hatte, um es abzuwenden. Ich nahm die Herausforderung zurück.«
    »Was hat Wagemaker dann getan?«
    »Er hat mich seinerseits zum Duell gefordert. Was ich mit dem fadenscheinigen Argument, ein Untergeordneter dürfe einen Höheren nicht fordern, ablehnte. Meine eigentlichen Gründe waren selbstverständlich ganz anders geartet. Offenbar überstiegen sie seinen Horizont, und anscheinend ist das immer noch so. Jetzt steht er allerdings im Rang nicht mehr unter mir. Ich kann es nicht ablehnen, mich ihm zu stellen.«
    »Was wird nun geschehen?«
    »Einer von uns wird sterben. Er hat nicht acht Jahre lang gewartet, um sich mit einem Schuss in die Luft zu begnügen. Für ihn gilt: Ein Mann, ein Wort. Und er hat sein Wort gegeben.«
    »Aber das Gedenken an seine Schwester...«
    »Wird wohl eher meine Hand behindern als seine.«
    »Aber das werden Sie nicht zulassen, oder? Sie haben doch nicht vor...?«
    »Ich weiß nicht, was ich vorhabe, Spandrel. Es ist schon spät. Und der Whiskey verleitet mich zu Rührseligkeit. Aber eines möchte ich Ihnen noch anvertrauen. Nach der Beerdigung habe ich keine Zeit verloren und den Blind Man's Tower unverzüglich verlassen. Bei der dänischen Armee war ein Platz für mich in ihrem Krieg gegen die Schweden frei. Auf diese Weise habe ich genügend Kenntnisse der Sprache aufgeschnappt, um für uns die Überfahrt an Bord der Havfrue zu ergattern. Natürlich war ich nicht der einzige britische Söldner der Dänen. Es gab sogar eine ganze Menge. Und einer davon hatte während seines Dienstes in Irland Lieutenant Augustus persönlich kennen gelernt. Er war dort offenbar als Duellant berüchtigt, fühlte sich immer schnell beleidigt und bestand sofort auf Genugtuung. Und er hat nie danebengeschossen.« McIlwraith leerte seine Whiskeyflasche. »Ich glaube, Dorothea wusste genau, dass viel eher ich derjenige war, den sie retten würde, als ihr Bruder.« Er seufzte. »Eines lohnt, darüber nachzudenken, wenn wir uns morgen früh begegnen: Wenn ich mich nicht täusche, weiß es Wagemaker genauso gut wie ich. Vielleicht hat sie mich ein bisschen geliebt. Vielleicht sogar mehr als nur ein bisschen. Wenn das stimmt, dann ist es der eigentliche Grund, warum er mich so hasst und mich umbringen will.«
    In dem Zimmer ein paar Türen weiter, das Colonel Wagemaker mit Nicolas Cloisterman teilte, brannte keine Kerze. Doch nur einer seiner Bewohner war noch wach. Cloisterman lag mit weit geöffneten Augen auf dem Bett und starrte ängstlich in die Dunkelheit. Von der anderen Seite kam das stete Geräusch von Wagemakers Atemzügen. Wie ein Mann in der Nacht vor einem Duell nur so tief und fest schlafen konnte, war Cloisterman ein Rätsel. Er selbst hatte sich immer alle Mühe gegeben, solche Ehrenangelegenheiten zu vermeiden, und es vorgezogen, sich zu entschuldigen oder Demütigungen zu ertragen, statt sich auf einen plötzlichen, schmerzhaften und, wie er das sah, sinnlosen Tod gefasst zu machen. Er hatte auch nie als Sekundant gedient und hatte auch jetzt nicht die geringste Lust dazu, doch Wagemaker bestand darauf. Dabei hatte er sich des raffinierten Arguments bedient, dass das doch eine von Gott gesandte Gelegenheit sei, einen gefährlichen Konkurrenten auf

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