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Die Mission des Zeichners

Die Mission des Zeichners

Titel: Die Mission des Zeichners Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goddard
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der Jagd nach dem Grünen Buch aus dem Weg zu räumen, und dass Cloisterman allein deswegen schon verpflichtet sei, ihm zur Seite zu stehen.
    Die Möglichkeit, dass er selbst und nicht McIlwraith morgen durch den Schusswechsel aus dem Weg geräumt werden könnte, schien Wagemaker nicht in den Sinn gekommen zu sein. Vielmehr hatte er unerschütterliche Zuversicht zur Schau getragen. »McIlwraith ist so gut wie tot«, hatte er dieses Thema kurzerhand abgetan. Genauso wortkarg war er gewesen, was seinen Grund für das Duell betraf, obwohl Cloisterman sich berechtigt fühlte, mehr darüber zu erfahren, wenn er ihm schon als Sekundant zur Verfügung stehen sollte. »Er hat den Tod meiner Schwester herbeigeführt. Jetzt muss er mit seinem Leben dafür bezahlen.«
    Wenn diese zwei jähzornigen alten Krieger unbedingt darauf bestanden, aufeinander zu schießen, konnten sie das wegen ihm, Cloisterman, gern tun. Er hatte es nicht in der Hand, sie daran zu hindern. Und es wäre fraglos leichter, Estelle de Vries, die sie gewiss noch vor dem Simplon überholen würden, das Grüne Buch zu entwinden, wenn ihnen kein McIlwraith mehr im Weg stand. Doch keine dieser Überlegungen konnte ihn beruhigen. Er mochte Wagemaker nicht, und er hatte keinerlei Vertrauen zu ihm. Auch konnte er sich keineswegs seiner Vorstellung anschließen, dass das eine schnelle, saubere Tötung wäre, und auch die Begleichung einer alten Rechnung und die Lösung eines gegenwärtigen Problems, ohne jede Folgen und frei von Strafen. Derart einfach waren Cloistermans Erfahrung nach freilich weder das Leben noch der Tod.
    Besonders beunruhigte ihn, dass er von der Haltung der Schweizer zu Duellen nicht die geringste Ahnung hatte. Er konnte jedenfalls nicht ausschließen, dass sie nach irgendeinem alten Kantonsgesetz verboten waren. Und wenn dem so war, konnte man die Sekundanten womöglich genauso belangen wie die Duellanten. Bei seinem Besuch im Rathaus hatte er sich dem Vertreter des Vogtes vorgestellt und bei der Erörterung des Todes von Zuyler und Jupe Letzteren als angesehenen, von der britischen Regierung eingesetzten Agenten bezeichnet. Wie der Vogt reagieren würde, wenn ein Gesandter wie er in ein Duell verwickelt wurde, darüber wollte er lieber nicht nachdenken. Doch Wagemaker war Walpoles Mann. Und es sah ganz danach aus, dass ihrer aller Schicksal bald in Walpoles Händen lag. Kurz, Cloisterman hatte keine andere Wahl, als sich dem Ansinnen zu fügen.
    Freilich zwang ihn niemand, das gerne zu tun. Vor allem missfiel ihm dabei, dass er an nichts anderes mehr denken konnte. Es würde sich doch gewiss lohnen, über die einzigartigen Umstände zu sinnieren, die zu diesem tödlichen Kampf in der Pension Siegwart geführt hatten. Zuyler und Jupe hatten sich gegenseitig umgebracht, und Estelle de Vries war mit dem Grünen Buch geflohen. So viel schien festzustehen. Aber wohin war sie geflohen? Der Simplon-Pass war als Ziel derart offenkundig, dass Cloisterman schon fürchtete, er könnte zu offenkundig sein. Mrs. de Vries hatte sich als kaltblütige, einfallsreiche Frau erwiesen. Wie einfallsreich, das konnte er noch nicht abschätzen. Und es fiel ihm schwer, sich auf die Hinweise betreffs ihrer wahren Absichten zu konzentrieren. Darüber konnte seiner Überzeugung nach ihr bisheriges Auftreten Aufschlüsse geben, nur hatte sie allenfalls bruchstückhafte Spuren hinterlassen. Statt sich damit zu befassen, drehten sich seine Gedanken weiter unablässig um die Widersinnigkeit eines Duells im Morgengrauen zwischen zwei ihm praktisch fremden Männern um eine seit langem tote Frau, die er nie gesehen hatte. Es war schrecklich, in einer solchen Patsche zu sitzen, die ihm umso schrecklicher vorkam, weil einer der Kombattanten unmittelbar neben ihm wie ein Säugling schlummerte. Cloisterman war bereits klar, dass er dazu verdammt war, sich schlaflos hin und her zu wälzen, bis diese lange Nacht endlich vorbei war. Und danach...
    »Verdammter Dalrymple«, fluchte er vor sich hin. »Das habe ich nicht verdient.«
    Ob er es verdient hatte oder nicht, war jedoch, wie er nur zu gut wusste, überhaupt nicht die Frage.

19 Der Preis der Ehre
    Die Dächer Berns erhoben sich über ihnen wie die Firste einer Stadt aus einem Traum, dahinter die gleitenden, zerfließenden Konturen der Berge und unter ihnen der vom Dunst eingehüllte Fluss.
    Es war eine stille, kalte, atemlose Morgendämmerung über einer welligen, stellenweise von Schnee bedeckten Wiese, auf der sich die

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