Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mission des Zeichners

Die Mission des Zeichners

Titel: Die Mission des Zeichners Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goddard
Vom Netzwerk:
regten sich in ihm, wurden immer mächtiger. Ein guter Mann? Da musste sie sich getäuscht haben. Er wollte sie, mehr sogar als das Geld. Aber plötzlich schien es so, als könne er beides haben. Er brauchte nur danach zu greifen.
    Estelle schlüpfte aus dem Nachtrock. Er glitt zu Boden und blieb zu ihren Füßen liegen. Durch ihr dünnes Hemdchen hindurch offenbarte das Licht des Kaminfeuers die Konturen ihres Körpers. Jäh wurde Spandrel von Begierde überwältigt. Er musste sie haben. Das, was er bei ihrer ersten Begegnung im Amsterdamer Haus ihres Mannes in seinen kühnsten Träumen nicht für möglich gehalten hätte, sollte jetzt unversehens in einem Glückstaumel enden. Er streckte die Hand aus. Sie ergriff sie und führte sie an ihre volle, weiche Brust, die sich ihm unter dem Hemdchen entgegen wölbte. Ihre Wärme erfüllte ihn mit einem Schauer.
    »Estelle...«
    »Sag nichts.« Sie zog ihn näher zu sich heran. »Welches Glück ich dir auch geben kann... es wartet nur auf dich.«

22 Über die Berge
    Es gab Augenblicke - meistens dann, wenn die Sänfte, in der er saß, in bedenkliches Schwanken geriet und ihn nur noch die Hände und Schultern ihrer vier Träger von einem Abgrund aus blendend weißem Schnee und nacktem schwarzem Fels trennten -, in denen Nicholas Cloisterman ernsthafte Zweifel befielen, ob er diese Alpenüberquerung überleben würde. Sein Professor im Fach klassisches Altertum am King's College in Canterbury fiel ihm wieder ein, der darüber gegrübelt hatte, auf welchem Weg Hannibal mit seiner Streitmacht und all den Elefanten 218 vor Christus nach Italien gekommen sein mochte. Eines konnte er nun jedenfalls mit Sicherheit ausschließen: Über den Simplon-Pass war er nicht gezogen.
    Drei Tage nach dem Aufbruch von Baden war Cloisterman in Brig-Glis eingetroffen, wo er sich einer kleinen Gruppe angeschlossen hatte, die nach Mailand wollte und froh war, dass sich noch jemand an den Kosten für Träger und Führer beteiligen wollte. Auf der Weiterreise verfiel Cloisterman bisweilen in ehrfürchtiges Staunen, derart gewaltig und erhaben boten sich ihm die Alpen in ihrer spätwinterlichen Schroffheit dar. Aber er fror bis in die Knochen, und der Abstieg war halsbrecherisch. Als sie endlich den Lago Maggiore erreichten, empfand Cloisterman tiefste Erleichterung, in die sich als einziger Wermutstropfen das Wissen mischte, dass er auf derselben Route zurückkehren musste; dann würde es zum Glück allerdings nicht mehr Winter sein.
    Wann es so weit sein würde, ob im Frühling oder im Sommer, vermochte er beim besten Willen nicht zu beurteilen. In Brig-Glis war nichts von einer allein reisenden Frau zu hören gewesen. Seine diesbezüglichen Erkundigungen hatten nichts eingebracht außer Ausrufen wie: »Um diese Jahreszeit?« und dass er scherzen müsse. Genauso wenig Hilfe konnte ihm der britische Konsul in Mailand bieten, ein liebenswürdiger Beamter namens Phelps, der hier einen Ruheposten gefunden hatte. Nirgends war eine Spur von Estelle de Vries zu finden. Wo sie sein mochte, war ein einziges Rätsel. Doch wohin sie wollte, das war gewiss. Und dorthin würde Cloisterman ziehen müssen.
    »Geschäfte in Rom, wie?«, meinte Phelps. »Kann nicht behaupten, dass ich Sie beneide. Geht wohl um den Prätendenten, hm?«
    »Wie kommen Sie darauf?«, fragte Cloisterman vorsichtig zurück.
    »Sonst scheint ja nichts die Vertreter der Regierung dorthin zu verschlagen. Sie wissen, dass dieser elende Kerl jetzt einen Sohn und Erben hat?«
    »Selbstverständlich.« Die Nachricht von der Geburt eines Stammhalters für das Haus Stuart wenige Monate zuvor hatte sich in Windeseile herumgesprochen.
    »Und von schrecklich guter Gesundheit, glaube ich.«
    »Wie erfreulich für seine Eltern.«
    »Aber nicht für unsere Dienstherren, was? Na ja, ich wünsche Ihnen Glück, was immer Sie zu erledigen haben.« Phelps grinste. »Ich nehme an, dass Sie es brauchen werden.«
    Jemand, der noch mehr Glück nötig hatte als Cloisterman, war der Schatzkanzler, John Aislabie, gegen den der Prozess im Unterhaus just an dem Tag begann, an dem Cloisterman sein unergiebiges Gespräch mit Konsul Phelps in Mailand führte.
    Zu seinem Leidwesen sollte Aislabie kein Glück beschieden sein. Nachdem Charles Stanhope den Klauen der Justiz entgangen war, wären die Folgen eines zweiten Freispruchs zu ernst gewesen, um überhaupt erwogen zu werden. Walpole sagte kein Wort zu Aislabies Verteidigung; und dessen Erklärung, er habe

Weitere Kostenlose Bücher