Die Mission
den Weg … mir nach! Lassen Sie die Strömung im Rücken! Dieser Schacht dort führt im Kreis unter Odessa hindurch. Sobald wir da sind, können wir in einen anderen Schacht einbiegen, der uns zum Rhein führt, ganz in der Nähe der neuen Eisenbahnbrücke.«
»Gehen Sie«, sagte der Feldwebel. »Ich versuche, sie hier aufzuhalten.«
»Jetzt spielen Sie nicht den Helden, Zawadzski«, schrie Vanka. »Wenn Sie hierbleiben, wird die SS Sie mit Handgranaten bombardieren. Unsere einzige Chance ist die Flucht.« Er packte Ella am Arm und schleifte sie den Schacht entlang. Die Strömung kam nun von hinten und schob sie so schnell vorwärts, dass sie fast vornüberkippten. Das kalte Wasser war jetzt auch tiefer, es strömte in Brusthöhe an Ella vorbei. Sie keuchte vor Schmerz, als die Kälte ihren ganzen Körper erfasste.
Wieder eine Explosion.
Während die Anglos weiter vorrückten, warfen sie Handgranaten, um den Weg freizumachen. Die Detonationen wurden lauter … kamen näher.
»Nach links, nach links!«, rief Ella. »Schneller, um Gottes willen, schneller!« Die Kugeln flogen ihnen um die Ohren. Plötzlich stürzte Feldwebel Zawadzski nach vorne, als hätte man ihn in den Rücken getreten.
Vanka wühlte in der Dunkelheit und versuchte den Feldwebel wieder auf die Beine zu heben, vergeblich. »Tot …«, sagte Vanka, nahm dem Feldwebel die Waffe aus der Hand und reichte sie Ella. »Schießen Sie. Halten Sie die Kerle auf Abstand. Lassen Sie sie nicht so nah heran, dass sie uns mit Handgranaten bewerfen können.«
Ella packte die Pistole am Lauf. Er war so heiß, dass er ihr trotz der Lederhandschuhe die Hand verbrannte. Ohne auf den Schmerz zu achten, hielt sie die Waffe, so wie sie in Krimis gesehen hatte, mit beiden Händen hoch, zielte auf den dunklen Schacht und drückte ab. Der Knall war ohrenbetäubend, doch Ella drückte immer wieder ab, so lange, bis das Magazin leer war.
Jetzt konnten sie nur noch rennen.
Die Informationen über die Kanalisation, die Ella von PINC erhielt, retteten ihnen das Leben. Sie führte Vanka durch eine verwirrende Reihe von Biegungen und Kehrtwenden, bis es ihr schließlich gelang, die Anglos abzuschütteln. Dann …
»Da drüben!«, hörte sie Vanka rufen. Ella brauchte eine Weile, bis sie darauf kam, was er meinte. Etwa hundert Meter vor ihnen endete der Schacht, und man sah einen Lichtstreifen. Sie fassten neuen Mut und torkelten so schnell sie konnten auf das Ende des Tunnels zu.
Und dann, ehe sie wusste, wie ihr geschah, senkte sich der Boden des Schachtes, und Ella wurde von der Strömung wie auf einer Wasserrutschbahn auf den Fluss zugetrieben.
Während sie fiel, war ihr einziger Gedanke: Warum hat PINC mich nicht davor gewarnt?
29
Demi-Monde:
79. und 80. Tag im Winter des Jahres 1004
Was ist reBop? Das, Jungs und Mädels, ist eine echte Killerfrage. Jedenfalls kein Absacker. ReBoppers sind die alten coolen Beatdaddys, die auf Jad-Musik stehen, die durchgeknallteste und schrägste Musik der geriebenen, durchtriebenen hombres aus dem Jüdischen Autonomen Distrikt von NoirVille. Aber glaubt bloß nicht, ReBop wäre bloß eine Musik. ReBop ist weit mehr, es ist eine Einstellung fürs Leben und für das, was danach kommt. ReBoppers sind gerissen und mucho empfänglich für die geheimsten und merkwürdigsten Ereignisse in der Demi-Monde. In puncto schwarze, pechschwarze Who-Doo-Magie sind sie so was Ähnliches wie breit, befreit und jederzeit bereit.
– Cab Calloway, Greetings Gate,
Let’s Agitate,
Macht eure Scheißbücher kaputt
Als Ella aufwachte, brauchte sie eine Weile, um sich zu erinnern, wo sie war. Sie wusste noch, wie die Kanalisation sie in das eiskalte Wasser des Rheins gespien hatte, wie Vanka sie ans Ufer gezogen und durch die dunklen Straßen von Berlin geschleppt hatte, und sie erinnerte sich, dass er sie in diese Wohnung gebracht hatte, die …
Sie versuchte, sich an den Namen zu erinnern. Es war ein komischer Name gewesen.
Rivets.
Ja, Rivets, ein junger Mann, der anscheinend mit Vanka befreundet war und sie bei sich aufgenommen hatte. Rivets hatte sie in dieses Zimmer gebracht, in dem sie nun schlief. Sie erinnerte sich, wie sie ihre stinkenden und klatschnassen Sachen ausgezogen, sich in eine Decke gehüllt und ins Bett gelegt hatte, und danach an nichts mehr.
Sie richtete ihre verschlafenen Augen auf die Uhr, die an der Wand tickte. Es war zwei Uhr … zwei Uhr nachmittags, dem Stand der Sonne nach zu urteilen, die durchs Fenster fiel. Das
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