Die Mission
hinten, die ihm, so vermutete Ella, einen eleganten Schwung verleihen sollten. Dazu, als Kontrast, eine kurze dunkelblaue Jacke mit hohem Kragen und Puffärmeln und eine weiße Bluse aus feinster Spitze. Und als i-Tüpfelchen ein Strohhut mit dem unvermeidlichen Schleier.
»Gefällt es Ihnen?«, fragte er nervös.
»Ich finde es wunderschön, Vanka, Sie haben einen tollen Geschmack.«
»Warten Sie! Ich habe noch eine zweite Auswahl, ein Ensemble für heute Abend, wenn wir ins Resi gehen.«
»Resi?«
»Ein Berliner Nachtclub.«
Ella scrollte durch PINC und erfuhr, dass das Resi im Berliner Distrikt des ForthRight ein Duplikat des Originals in der Realen Welt war. Es war als Brutstätte von Unmoral und Dekadenz in der Weimarer Republik berühmt, besser gesagt, berüchtigt gewesen.
Das würde bestimmt interessant sein.
»Ist es nicht merkwürdig, dass es mitten im ForthRight so ein Lokal gibt? Ich hätte nie gedacht, dass die UnFundis so etwas erlauben würden.«
Vanka lachte. »Das Resi haben wir Beria zu verdanken. Er braucht einen Ort, an dem er sich austoben kann. Dort gabelt er seine Mädchen auf.« Vanka steckte sich eine Zigarette an. »Na ja, es wird auch gemunkelt, dass er den Club nur deshalb nicht dichtmacht, um Aleister Crowley eins auszuwischen. Die beiden können sich nicht riechen.«
»Und warum gehen wir dahin?«
»Um uns mit Toussaint Louverture zu treffen … Louffie für seine Freunde. Er ist einer von Shakas Leutnants und derjenige, der uns die Blutlieferung besorgen wird.«
»Kennen Sie ihn?«
»O ja. Er schuldet mir noch etwas für eine andere Blutlieferung.« Er warf Ella ein bedauerndes Lächeln zu. »Wir müssen sehr vorsichtig sein. Dieser Louverture ist ein gefährlicher Bursche. Er gehört den Blutsbrüdern an, also darf er auf keinen Fall herausfinden, dass Sie eine Dämonin sind. Wenn er das erfährt, kommen Sie zwar auch nach NoirVille, allerdings zu dem Preis, dass man Sie vorher zur Ader lässt.« Vanka zog nervös an seiner Zigarette. »Ich kann nur hoffen, dass er etwas umgänglicher ist als das letzte Mal. Es heißt, er sei ein anderer Mensch geworden, seit er mit Josephine Baker zusammen ist.«
»Josephine Baker?«
»Klar. Louverture ist nicht nur einer der Blutsbrüder-Bosse, er führt auch die Revue Nègre – aktuell übrigens im Resi –, aber ich glaube, das tut er nur, um seine Schwarze Venus im Auge behalten zu können.«
Ella klatschte vor Aufregung in die Hände. »Wir gehen heute Abend zu einer Vorstellung mit Josephine Baker?«
Vanka nickte.
»Das wird die tollste Nacht meines Lebens.«
»Ich hoffe nur, dass Louffie guter Stimmung ist, ansonsten könnte es auch Ihre letzte Nacht werden. Deshalb habe ich mir bei der Auswahl Ihrer Garderobe so viel Mühe gegeben.« Er öffnete die zweite Schachtel. »Ich wollte ein Kleid für Sie aussuchen, das Ihre makellose Figur nicht nur schmückt. Das Kleid sollte so schick, so gewagt, so risqué sein, dass kein Mann, der Sie darin sieht – vor allem nicht Toussaint Louverture –, Ihnen etwas abschlagen könnte. Wir haben Glück, dass Louffie einer der wenigen Männern in NoirVille ist, der sich nicht von Männern angezogen fühlt. Daher … voilà !«
Damit zauberte er aus der zweiten Schachtel ein so elegantes Kleid hervor, dass es Ella einen Augenblick lang die Sprache verschlug. Es war aus cremefarbenem Satin, lang, eng, rückenfrei und, soweit Ella erkennen konnte, fast auch oben ohne. Das schönste Kleid, das sie jemals gesehen hatte.
Ihr Schweigen verunsicherte Vanka. »Ich gehe davon aus, dass Ihnen meine Auswahl gefällt, Ella. Wenn ich Sie aber jetzt in diesem Hemd vor mir sehe, bin ich sicher, dass Sie auch darin Louverture und alle anderen Männer im Resi für sich gewinnen könnten.«
»Ach Vanka, Sie sind so nett zu mir. Das Kleid ist wundervoll, aber es ist Ihnen hoffentlich klar, dass ich darin meine Hautfarbe kaum verbergen kann.«
»Das Resi ist der einzige Ort im ForthRight, an dem sie sich nicht zu verstecken brauchen, weil Sie eine Shade sind, Ella. Und da heute dort die Revue Nègre gastiert, werden Sie nur eine unter vielen dunkelhäutigen Frauen sein. Heute Abend können Sie beides zur Schau tragen, Ihre Schönheit und Ihre Hautfarbe.«
Bevor sie wusste, was sie tat, sprang Ella auf und küsste Vanka auf die Wange.
Es folgte eine unbehagliche Pause, dann fuhr sich Vanka mit der Hand über die Stelle, wo sie ihn geküsst hatte. »Ella, ich habe Sie schon einmal gewarnt. Wenn hübsche
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