Die Mission
hieß, dass sie fast zehn Stunden geschlafen hatte. Sie stützte sich auf einen Ellbogen, setzte sich auf, ohne auf den Protest ihres schmerzenden Körpers zu achten, und sah sich im Raum um. Das Schlafzimmer war hübsch, es hatte eine hohe Decke und elegante Möbel. Es war auch sehr sauber und ordentlich, nur das frische weiße Hemd mit dem Zettel am Kragen, das an einem Kleiderhaken an der Tür hing, tanzte aus der Reihe.
Seltsam.
Widerwillig verließ sie das warme Bett, stand auf und streckte sich, um den Schmerz und die Krämpfe im Rücken zu verscheuchen. Sie reckte die Arme, bis ihre Muskeln sich vom vielen schmerzhaften Bücken in dem niedrigen Schacht erholt hatten. Dann ging sie in ihre Decke gehüllt zur Tür, um zu sehen, was auf dem Zettel stand.
Hallo, Ella,
ich musste kurz weg. Bin gegen 16 Uhr zurück. Ich würde vorschlagen, dass Sie den Nachmittag damit verbringen, Ihre kleinen Freunde loszuwerden, die Sie aus Warschau mitgebracht haben, und sich für den heutigen Abend hübsch machen. Auf der Kommode finden Sie Handtücher und andere nützliche Dinge. Tut mir leid, aber Ihre Kleider waren nicht mehr zu retten, deshalb habe ich sie verbrennen lassen. Ich bringe Ihnen etwas zum Anziehen mit. Bis dahin kann ich Ihnen nur ein Hemd von mir anbieten.
Ihr Freund
Vanka Maykow
Ella brauchte fast eine Stunde, vier große Pfannen fast kochend heißes Wasser, jede Menge Schrubben, den rigorosen Gebrauch eines Nissenkamms und fast eine ganze Flasche von Dr. Murdocks patentiertem Entlausungsmittel, ehe sie sich wieder sauber und menschlich fühlte. Mit frisch erwachten Lebensgeistern streifte sie Vankas Hemd über und kochte sich Kaffee.
Sie war gerade bei der zweiten Tasse, als ein überaus elegant gekleideter Vanka eintrat. Er war frisch rasiert und geduscht und mit unzähligen Päckchen und Schachteln beladen.
»Aha, unser Dornröschen ist also wieder zu den Lebenden zurückgekehrt«, sagte er, während er die Schachteln auf dem Tisch abstellte. »Sie sind bezaubernd, Ella. Ich muss zugeben, dass Ihnen mein Hemd viel besser steht als mir. Wie geht es Ihnen?«
Ella bedankte sich mit einem Knicks für das Kompliment. »Ich bin ein bisschen ramponiert und voller blauer Flecken, aber davon abgesehen geht es mir ganz gut. Sehr nett von Ihnen, dass Sie an die Toilettenartikel gedacht haben.«
»Ich gehe davon aus, dass Sie alles vorgefunden haben, was Sie brauchten? Bitte fühlen Sie sich in meiner bescheidenen Wohnung wie zu Hause.«
»Das ist Ihre Wohnung?«
»Eins meiner Schlupflöcher in Berlin. Da ich befürchten musste, dass das Schwein von Skobelew sie überwacht, habe ich sie in letzter Zeit gemieden. Rivets war so nett, sich um sie zu kümmern.« Vanka musste die unausgesprochene Frage geahnt haben. »Rivets ist mein Partner. Er hilft mir bei meinen … unkonventionellen Geschäften.«
Das erklärte herzlich wenig, war aber wohl genau so beabsichtigt. »Was ist in den Schachteln?«, fragte Ella und setzte sich auf die Couch.
»Geschenke … Geschenke für Sie.«
»Oh, wie schön! Ich liebe Geschenke.«
»Tatsache ist, jetzt, wo ich Sie in meinem Hemd vor mir sehe, frage ich mich, ob ich sie Ihnen überhaupt geben sollte, Ella. Sie haben wunderschöne Beine, trotzdem musste ich Ihnen, ganz gegen meinen Willen, Kleider besorgen, die sie verstecken.« Er klopfte mit dem Finger auf eine Schachtel. »Doch zuerst eine Entschuldigung. Ich muss Ihnen beichten, dass ich mir letzte Nacht, als Sie schliefen, einige Freiheiten genommen habe.«
Als er ihren misstrauischen Blick bemerkte, musste er lachen. »Oh, verzeihen Sie, vielleicht habe ich mich etwas unpräzise ausgedrückt. Ich habe die Zeit, in der Sie schliefen, genutzt, um die Größe Ihrer Füße zu messen. Und dann habe ich mir erlaubt, zwei Kleider für Sie auszusuchen. Louffie Louverture – der Mann, mit dem wir über die Lieferung der Blutreserven verhandeln müssen – hat eine Schwäche für schöne Kleider und hübsche Frauen, also habe ich keine Kosten gescheut! Und das alles haben wir nur Aleister Crowley zu verdanken und seinem überaus großzügigen Honorar für die Séance in Dashwood Manor.« Er öffnete die erste Schachtel. »Dieses Kostüm ist eher schlicht: etwas, was eine elegante junge Dame am Nachmittag tragen würde.«
Nachdem er den Inhalt der Schachtel auf der Rückenlehne der Couch ausgebreitet hatte, konnte Ella nur noch staunen, welche Mühe er sich gemacht hatte. Ein langer cremefarbener Rock mit langen Schlitzen
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