Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Titel: Die Mittagsfrau: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Franck
Vom Netzwerk:
Aschheim in seinem Laboratorium, aber sie hätte für den Versuch Helenes Morgenurin benötigt. Sie hätte eines der kleinen, noch nackten Mäusemädchen nehmen und ihm Helenes Urin subkutan in jizieren müssen. Dann hätte sie zwei Tage warten und die Maus obduzieren müssen. Wenn das winzige Mäusemädchen mit einer Ovulation reagierte, war sicher, dass die Frau schwanger war. Leontine half Aschheim, eine Abhandlung darüber zu verfassen, sie sollte gegen Ende des Jahres fertig sein, so alles gut ging, und im kommenden Jahr veröffentlicht werden.
    Ich gebe dir einen kleinen Schlaftrunk.
    Und ich merke nichts?
    Nein. Leontine drehte sich um, sie hatte in einer Glaskanne eine Flüssigkeit angerührt und goss diese Helene in einen Becher. Ich kenne die Arbeit der Anästhesisten.
    Kein Zweifel. Helene hatte jetzt Angst. Sie hatte keine Angst vor dem Abbruch, sie hatte Angst vor der Bewusstlosigkeit. Sie setzte sich auf den Stuhl und trank das Glas in einem Zug. Durch ihre Arbeit bei dem Apotheker wusste sie selbst, welche Substanzen sich für eine wohldosierte zeitlich begrenzte Abwesenheit eigneten.
    Es klopfte, und Martha trat ein. Sie drehte den Schlüssel in der Tür um und ging zum Fenster, um die Rollläden zu schließen.
    Es muss ja niemand sehen, sagte sie und kam auf Helene zu. Jetzt atmen. Nur wenig Äther. Helene sah, wie sich Marthas Schritte bis zur Zeitlupe verlangsamten und Martha ihre Hand ergriff. Sie konnte Marthas Hand nicht spüren. Martha stellte sich neben sie und legte einen Arm um ihre Schulter. Ich bin bei dir.
    Es gab keinen Traum, kein Licht am Ende des Tunnels, keine Ahnung von dem, was hätte sein können, und auch keinen Zeigefinger eines Gottvaters, der sich drohend über Helene erhoben hätte.
    Als sie aufwachte, bemerkte sie noch immer die Taubheit am ganzen Körper, erst nach und nach konnte sie das Brennen spüren. Sie lag auf dem Rücken, einen Gurt fest über der Brust. Wie hatten die beiden Frauen sie auf die Liege geschafft? Helene traute sich nicht, sich zu bewegen. Am Schreibtisch brannte eine Lampe, davor saß Leontine und las.
    Ist es weg? Helenes Stimme zitterte.
    Leontine drehte sich zu Helene um, sie blieb auf ihrem Stuhl sitzen und sagte: Schlaf, Helene. Wir bleiben heute Nacht hier.
    Ist es weg?
    Leontine vertiefte sich wieder in ihr Buch, sie schien Helenes Frage nicht gehört zu haben.
    Ein Junge oder ein Mädchen?
    Jetzt drehte sich Leontine abrupt zu ihr um. Da war nichts, sagte sie ärgerlich. Du sollst schlafen. Da war kein Embryo, kein befruchtetes Ei, du warst nicht schwanger.
    Auf dem Gang waren Schritte zu hören, die sich wieder entfernten. Helene wurde jetzt wacher. Das glaube ich dir nicht, flüsterte sie und spürte, wie ihr Tränen über die Schläfe und ins Ohr liefen, lauwarm.
    Leontine schwieg, sie hatte sich über ihr Buch gebeugt und blätterte eine Seite um. Im Gegenlicht, das sich unter den Tränen wie ein Prisma brach, sah es aus, als gebe es Leontine tausendfach. Sollte das eine Brille sein, die sie da trug? Helene bewegte ihre Zehen, das Ziehen in ihrem Leib wurde jetzt so heftig und schneidend, dass sie eine leichte Übelkeit empfand.
    Martha hat Nachtdienst? Helene versuchte, den Schmerz zu unterdrücken, sie wollte nicht, dass man ihn aus ihrer Stimme hörte.
    Die ganze Woche schon. Sie kommt nachher, und wir bringen dich nach Hause. Bis dahin hast du noch sieben Stunden, die solltest du schlafen.
    Hätte Helene nicht diese Schmerzen gehabt, wäre es ihr gelungen, Leontine zu sagen, dass sie nicht schlafen wolle. Aber der Schmerz ließ nur wenig Worte und keinen Trotz zu. Gibt es eine Wärmflasche?
    Nein, Wärme würde es nur schlimmer machen. Leontine deutete ein Lächeln an. Sie stand auf und kam zu Helene, um ihr die Hand auf die Stirn zu legen. Du weinst. Ich könnte dir Morphium geben, zumindest wenig.
    Helene schüttelte heftig den Kopf. Auf keinen Fall. Niemals wollte sie Morphium nehmen, sie würde den Schmerz ertragen, jeden Schmerz, auch wenn sie es nicht laut sagte. Sie biss sich auf die Lippen, ihr Kiefer klemmte zusammen.
    Vergiss das Atmen nicht, jetzt lächelte Leontine wirklich, sie streichelte Helenes Haar, das feucht wurde vom Schweiß, der ihr auf der Stirn stand. Die Tränen liefen, sie konnte sie nicht aufhalten.
    Wenn du musst, sag mir Bescheid, das erste Mal tut weh. Aber der Urin hilft, es wird heilen. Du sollst nur liegen, möglichst viel. Weiß Carl inzwischen etwas?
    Helene schüttelte wieder den Kopf, es machte

Weitere Kostenlose Bücher