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Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Titel: Die Mittagsfrau: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Franck
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nichts, dass sie weinte. Ich habe Carl gesagt, dass wir in die Ferien fahren, an die See. Wir fahren nach Ahlbeck, nicht wahr?
    Leontine zog die Augenbrauen hoch. Und wenn er Martha oder mich zufällig trifft?
    Das wird er nicht, er lernt für sein Examen. Er sitzt seit drei Wochen in seiner Kammer. Helene keuchte, das Lachen gelang mit Schmerz nicht gut. Er hat gesagt, es wäre bestimmt noch frisch am Meer, wir sollen uns nicht erkälten.
    Leontine ließ Helenes Stirn los, sie ging zu ihrem Schreibtisch, zog die Lampe tiefer zu sich, damit der sonstige Raum noch dunkler wurde, und las. Im Schein der Lampe sah es aus, als habe Leontine einen Flaum auf der Oberlippe.
    Ich wusste gar nicht, dass du eine Brille hast.
    Verrat es keinem, sonst verrat ich dich.
    Am Morgen nahmen Martha und Leontine Helene in ihre Mitte. Martha trug den kleinen, ochsenblutroten Koffer, in den sie Helenes Wäsche gelegt hatten. Helene musste immer wieder stehen bleiben, ihr Leib zog sich zusammen, sie wollte sich nicht auf offener Straße krümmen. Blut floss aus ihr, es schien dicker als sonst. Der Wind pfiff, die Mädchen hielten ihre Hüte fest. Helene fühlte sich von innen nach außen durchnässt, bis zu den Nieren kroch die Nässe, sie zog sich an den Beinen entlang, und es war Helene, als erreichte sie ihre Kniekehlen.
    Leontine sagte zu Martha: Du wartest hier mit ihr. Und Martha wartete mit Helene, sie legte einen Arm um Helenes Hüfte. Helene erschien Marthas Arm unangenehm schwer, ihr schien, als reize die Berührung den Schmerz und locke ihn. Marthas Arm war ihr lästig. Aber sie konnte nicht sprechen, sie wollte Martha nicht von sich stoßen. Plötzlich musste sie an ihre Mutter denken, ihr wurde schlecht. Sie hatten lange nichts von der Mutter gehört. Der letzte Brief vom Mariechen war zu Weihnachten gekommen, alles sei in bester Ordnung, der Mutter ginge es besser, sie könne manchmal mit ihr spazieren gehen. Ein Ziehen riss Helenes Leib auseinander, sie knickte fast unmerklich ein. Martha hob jetzt ihren Arm und legte ihre Hand um Helenes Schulter, ungefragt versicherte sie Helene, dass sie es gleich geschafft hätten. In Marthas Gesicht war ein sonderbarer Ausdruck, den Helene noch nie gesehen hatte. War es Furcht?
    Engelchen. Martha zog Helene an sich, sich an Helene. Sie streichelte Helene über das Gesicht. Helene wollte ihr sagen, dass das nicht nötig sei, es war ja nur Schmerz, nichts sonst. Sie musste ihn nur überwinden, ihm standhalten, warten. Leontine winkte vorn an der Straße, endlich hatte ein Taxi gehalten. Es begann zu regnen, die Passanten schlugen ihre Schirme auf. Leontine ruderte jetzt mit dem Arm, sie sollten hinüberkommen. Das Blut zwischen Helenes Beinen war kalt geworden. Martha und Leontine brachten Helene in das kleine Zimmer in der Achenbachstraße. Dort hatten sie die Betten wieder je an eine Wand geschoben und versicherten, dass es ihnen nichts ausmachte, für diese Woche in einem Bett zu schlafen. Sie brachten ihr Wasser und sagten, es sei wichtig, dass Helene möglichst viel ruhe. Es duftete nach Bergamotte und Lavendel. Helene wollte sich waschen, aber sie sollte nicht aufstehen. Im Flur schlugen Türen. Vielleicht der Baron?
    Nein, Heinrich Baron sei wegen seiner Tuberkulose nach Davos gereist. Es sei ihm in der letzten Zeit so schlecht gegangen, dass Leontine ihm Empfehlungen und Rezepte ausgestellt habe. Statt seiner hätte jetzt das Ehepaar Karfunkel das Zimmer gemietet. Fanny sei froh, eine gute Miete zu bekommen, sie habe sich immerhin das Grammophon zurückholen können.
    Helene legte sich auf das schmale Bett und schloss die Augen, es war zu hell.
    Besser ist es, wenn du dich auf den Bauch legst, Engelchen, dann kann sich die Gebärmutter leichter senken. Helene drehte sich auf den Bauch. Das Kissen und die Matratze, einfach alles hier roch nach Leontine. Helene schloss wieder die Augen. Das Ziehen war nicht schlimm. Sie war nicht schwanger, das war gut.
    Sie lag die ganze Woche auf dem Bauch und sog Leontines Geruch ein und übte Geduld.
    Martha hatte herausgefunden, dass der Autobus von Ahlbeck nach Heringsdorf fuhr und der Schnellzug vom Bahnhof Heringsdorf Seebad um halb drei in Berlin am Stettiner Bahnhof ankommen würde. Also telefonierte Leontine mit einer Freundin in Ahlbeck und bat um Telegrammaufgabe: An Carl Wertheimer. Ankunft Sonntag halb drei, Stettiner Bahnhof. Küsse, Helene.
    Am Sonntag hatte Leontine Dienst im Krankenhaus. Martha und Helene fuhren allein mit der

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