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Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Titel: Die Mittagsfrau: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Franck
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informiert sind. Er sagte, das könne er sich nicht vorstellen. Ich sagte ihm, ich würde mich darum kümmern, ich könne zu Ihnen hinaufgehen. Der Professor Wertheimer sagte, er wisse nicht, wo Sie wohnen, aber wenn ich mich kümmern könne, dann wäre das gut. Er fragte mich, ob ich eine Adresse von Ihnen hätte, ich sagte, ich müsse da erst nachschauen. Er weiß wohl noch immer nicht, dass Sie hier wohnen?
    Helene hielt sich mit beiden Händen an der Klinke fest.
    Er ist tot. Die Vermieterin sagte es wohl für den Fall, dass diese Nachricht untergegangen wäre. Das wollte ich Ihnen gesagt haben.
    Helene atmete tief ein, einst würde sie ausatmen müssen. Ja.
    Helene schob, sich noch immer mit beiden Händen an der Klinke festhaltend, die Tür zu, bis das Schloss hörbar schnappte.
    Wenn ich etwas für Sie tun kann, hörte sie die Vermieterin auf der anderen Seite der Tür sagen, Helene, lassen Sie es mich wissen?
    Helene antwortete nicht mehr. Sie setzte sich auf das Bett und nahm das Buch auf ihren Schoß, sie musste blinzeln: Ich kannte deine Blicke und in des tiefsten Schoß sammelst du unsere Glücke, den Traum, das Loos. Sie las jetzt laut, als lese sie vor und gelange das Gedicht nur auf diese Weise aus ihr hinaus. Es glückte ihr nicht, die Stimme auch nur ein wenig zu heben oder zu senken. Helene las das Gedicht noch bis zum Ende, ein letztes Mal, die Nacht war ausgeklungen. Dann klappte sie das Buch zu und legte es auf den Tisch. Helene öffnete das Fenster. Kalte Luft kam herein. Am Himmel standen die ersten hellen Streifen des anbrechenden Tages. Ein Rosa leuchtete in diesen Streifen, blass und zart. Sein Unterhemd musste sie nicht ausziehen. Helene wusch sich und zog ihr Kleid wieder an. Ihre Schuhe waren noch nass, sie hatte vergessen, Zeitung hineinzustopfen. Der Mantel roch nach dem Rauch des gestrigen Tages.
    Es sollte Helene an diesem Morgen nicht gelingen, bei ihrer Arbeit anzukommen. An der letzten Ecke, sie konnte schon das vertraute Schild der Apotheke sehen, bog sie ab. Sie ging die Straße hinunter, sie entfernte sich von der Apotheke. Es gab keinen Entschluss in ihr, wohin sie gehen wollte, auch keinen Gedanken, wohin sie gehen konnte. Sie setzte einfach einen Fuß vor den anderen. Wagen fuhren, Menschen gingen ihrer Wege, die Straßenbahn bewegte sich, womöglich quietschte sie, und doch erschien es Helene so, als liege die Stadt still. Ihr war nicht der Atem ausgegangen, sie war nur still.
    Dass es so einfach war, einen Fuß vor den anderen zu setzen, weckte in Helene eine Erinnerung, die sogleich wieder verschwand. Helene überquerte Straßen, sie musste nicht mehr nach links und rechts schauen. Das Rosa hatte den Himmel erleuchtet, jetzt war die Welt in Rosa getaucht, ein gelbes Rosa, auch wenn es ihr nicht stand. Aus blauen Häusern wurden violette. Im nächsten Augenblick war der Morgen da, von Rosa keine Spur. Der Apotheker würde sich fragen, wo sie blieb. Aber sie war ja da. Sie konnte ihn über ein Telefon anrufen und sagen, dass sie heute nicht kommen könne. Sollte er sich nur wundern, sie war sonst nie krank, aber heute, heute konnte sie nicht. He lene setzte einen Fuß vor den anderen. Morgen? Was war das für ein Tag, morgen. Was konnte morgen sein? Helene wusste es nicht. Sie stand vor der breiten Steintreppe in der Achenbachstraße. Otta öffnete ihr und sagte, Martha schlafe noch, Leontine sei vor einer Stunde fortgegangen, sie habe zur Arbeit gemusst.
    In Marthas Zimmer nahm Helene am Waschtisch Platz. Es würde nur wenige Stunden dauern, bis Martha aufwachte. Sie hatte Nachtdienst gehabt. Helene wartete nicht. Sie saß einfach da und ließ die Zeit vergehen. Sie wartete nicht auf Martha und nicht auf Leontine. Helene wartete auf nichts mehr. Es war beruhigend, dass die Zeit trotzdem verging.
    Martha brachte ihr später einen Tee, sie holte ihr etwas zu essen, sie telefonierte für sie mit dem Apotheker. Wenn Martha saß, hielt sie sich am Tisch fest, wenn sie ging, berührte sie die Wand. Helene wusste, dass Martha ein Gleichgewicht fehlte, schon länger. Helene betrachtete den Dampf über dem Teeglas. Martha sagte etwas. Helene senkte ihren Kopf, bis ihr Kinn auf der Brust lag, so konnte sie ihn am besten riechen, Carl, dessen Geruch ihr aus ihrem Ausschnitt entgegenkam. Nur leicht, so, dass Martha es nicht bemerkte, hob sie einen Arm. Auch unter der Achsel saß sein Geruch. Mit seinem Unterhemd haftete er an ihr. Martha sagte ihr etwas jetzt lauter, so laut, dass

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