Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)
Wäsche. Helene fürchtete Marthas schroffe Weisungen. Sie wusch Marthas Blut aus dem Leinen, nahm das braune Fläschchen Terpentinöl, drehte den Schraubverschluss auf und zählte für das letzte Spülwasser dreißig Tropfen ab. Zum Trocknen hängte sie im Winter die kleine Wäsche vor das Südfenster des Dachbodens. Das Terpentin verflog, und die Sonne tat ihr Übriges, um die Wäsche weiß leuchten zu lassen. Es würde noch Jahre dauern, bis Helene selbst kleine Wäsche zu wringen hatte, sie war neun Jahre jünger als Martha und erst im vergangenen Sommer in die Schule gekommen.
Weiter unten, sagte Martha, und Helene folgte ihrem Befehl, sie streichelte tiefer die Flanke der Schwester hinab, bis dorthin, wo die Hüfte sich sanft wölbte, und von hier im Bogen zurück zum Ende der Wirbelsäule.
Martha seufzte tief, es folgte ein Schmatzen, als öffne sie den Mund, um etwas zu sagen.
Nierchen, sagte Helene.
Ja, und auf zu den Rippchen, zur Lunge, mein Herz.
Schon seit einigen Minuten hatte Helene nicht mehr das Umblättern einer Seite gehört. Martha verharrte auf der Seite liegend, den Rücken ihr zugewandt und hielt still in der Erwartung. Helenes Hände kamen und gingen, sie steigerte Marthas Verlangen, noch ein Seufzen, ein einziges wollte sie hören, ihre Hände flogen jetzt sachte über die Haut, berührten nicht mehr alles, nur noch wenig, das wenigste, ihr Verlangen ließ sie schneller atmen, erst Helene, dann Martha, und schließlich beide, es klang wie das Keuchen beim Wringen, wenn man allein am Waschtisch stand und nichts hörte als den eigenen Atem und das Gurgeln der Wäsche im Wasser der Emailleschüssel, das Sprudeln des Waschpulvers, schäumendes Soda, hier das Keuchen zweier Mädchen, noch kein Gurgeln, nur Atmen, ein Sprudeln, bis Martha sich plötzlich umdrehte.
Mein kleiner Engel, Martha umfasste Helenes Hände, die sie eben noch gestreichelt hatten, sie sprach leise und deutlich: Morgen habe ich um vier Dienstschluss, und du holst mich vom Krankenhaus ab. Wir gehen hinunter zum Fluss. Marthas Augen leuchteten auf, wie manchmal in letzter Zeit, wenn sie einen Gang zur Spree ankündigte.
Helene versuchte ihre Hände loszumachen. Sie fragte es kaum, eher stellte sie es fest: Mit Arthur.
Martha legte ihrer Schwester den Zeigefinger auf die Lippen. Nicht traurig sein.
Helene schüttelte den Kopf, obwohl sie traurig war. Sie riss die Augen weit auf, sie würde nicht weinen. Selbst wenn sie hätte weinen wollen, es ging nicht. Martha strich über Helenes Haar. Engelchen, wir treffen ihn am alten Weinberg hinter der Bahnlinie. Wenn Martha glücklich war und aufgeregt, gluckste ihr Lächeln in der Kehle. Er wird Botanik studieren in Heidelberg. Dort kann er bei seinem Onkel wohnen.
Und du?
Ich werde seine Frau.
Nein.
Das Nein kam schneller über Helenes Lippen, als sie es denken konnte, es platzte heraus. Sie fügte leise hinzu: Nein, das wird nicht möglich sein.
Nicht möglich sein? Alles ist möglich, Engel, die Welt steht uns offen. Frohlockend strahlte Martha, aber Helene kniff die Augen zusammen und schüttelte beharrlich den Kopf.
Vater wird es nicht erlauben.
Vater wird keinen Mann an meiner Seite erlauben. Martha ließ Helenes Hände los und musste trotz ihrer Einsicht lachen. Er liebt mich.
Vater oder Arthur?
Arthur natürlich. Vater besitzt mich. Er kann mich nicht hergeben. Selbst wenn er wollte, er kann es einfach nicht. Er wird mich niemandem überlassen.
Dem gewiss nicht.
Martha drehte sich auf den Rücken, sie faltete ihre Hände, als wollte sie beten. Gott, was bleibt ihm anderes übrig? Ich habe zwei Beine, mit denen gehe ich davon. Und eine Hand, die gebe ich Arthur. Warum bist du so streng, Helene, so ängstlich? Ich weiß, was du denkst.
Was denke ich?
Du glaubst, es wäre wegen Arthurs Familie, du glaubst, Vater hegt gewisse Vorbehalte. Aber das ist nicht wahr. Warum auch, sie gehen nicht einmal ins Bethaus. Manchmal redet Vater schlecht über diese Leute, aber bemerkst du dann nicht sein Lächeln, er macht sich freundlich lustig, so, wie wenn er dich Dreckspatz nennt, Engelchen. Er hätte Mutter nicht geheiratet, wenn er so denken würde, wie er spricht.
Er liebt Mutter.
Hat er dir erzählt, wie sie sich kennengelernt haben? Helene schüttelte den Kopf und Martha fuhr fort. Wie er nach Breslau gereist ist und dort das Fräulein Steinitz mit ihren auffallenden Hüten in der Druckerei entdeckte. Apart war sie, sagt er, ein apartes Fräulein mit einem
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