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Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Die Mittagsfrau: Roman (German Edition)

Titel: Die Mittagsfrau: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Franck
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eine schöne Frau zur Hausärztin haben. Leontine, wann machst du dein Examen?
    Im Herbst. Keine falschen Hoffnungen, ich werde bei Professor Friedrich an der Charité anfangen. Es könnte sein, dass er sich für eine Habilitation einsetzt.
    Du enttäuschst mich, Liebchen, ich sehe dich mit dem Arztkoffer in einem kleinen Doktorwagen vor meinem Haus halten. Warum keine Praxis – du könntest dir junge Assistenten zur Hilfe nehmen, solche wie Erich oder Bernard.
    Leontine lächelte geschmeichelt. Sie hatte sich in Berlin eine seltsame Geschmeidigkeit zugelegt, sie lächelte häufiger, manch mal nur mit den Augen, und selbst ihre Bewegungen waren denen einer Katze ähnlich geworden. Leontine erhob sich und ging um den Tisch herum. Sie nahm Helenes blonden Zopf in beide Hände, als wolle sie ihr Haar wiegen, und legte dann ihre Hand auf Helenes Kopf. Helene wurde warm, es gab nichts Besseres als Leontines Hand auf dem Kopf.
    Den privaten Patienten fehlt noch das Zutrauen in eine Ärztin, sagte Leontine und hob entschuldigend die Augenbrauen. Zudem verfüge ich nicht über das nötige Kleingeld.
    Selbstverständlich müssen es keine Assistenten sein, es könnten auch Assistentinnen sein, Leontine. Solche wie Martha und Helene. Fanny kicherte. Wie ich höre, bist du mit einem debilen Paläontologen verheiratet. Man möchte meinen, der hätte etwas Kleingeld.
    Lorenz und debil? Leontines Augen funkelten. Wer behauptet das? Mein werter Mann hegt wohl nicht das nötige Vertrauen in meine Niederlassung. Jetzt lachte Leontine ihr altbekanntes schwarzes Lachen.
    Muss er nicht debil sein, wenn ihm nicht auffällt, dass seine Frau ihre Nächte nicht zu Hause verbringt? Fannys Zunge glitt wieder an der oberen Zahnreihe entlang und fuhr über die Lippen.
    Lorenz ist liberal, von Grund auf, und zudem hat er schlicht das Interesse an mir verloren.
    Fanny warf ihrem Königspudel Cleo einen Brocken vom Mohnkuchen zu und schenkte sich ein Glas Weinbrand ein. Jetzt fiel Fannys Blick auf Helene. Leontine sagt, du beherrschst die Schreibmaschine und Stenographie? Fannys Nase lief, doch sie bemerkte es zu spät. Es gelang ihr lediglich, das Rinnsal mit dem Taschentuch am Kinn aufzufangen. Du hast die Buchhaltung in der Druckerei eures Vaters gemacht?
    Helene zuckte unschlüssig die Achseln. Es schien ihr lange her zu sein, dass sie diese Dinge erledigt hatte. Ihr altes Leben war in eine gute Ferne gerückt, sie erinnerte sich lieber nicht. Was sie übte, war die Erinnerungslosigkeit, nur so, das hatte sie bei einer Gesellschaft jüngst einem Galan zugeflüstert, könne man die Jugend halten. Dabei hatte sie ihn so unschuldig angesehen, dass der Galan sie ernst nehmen musste und ihr zustimmen wollte.
    Die vergangenen Monate in Berlin hatten für Helene vornehmlich aus dem Lesen in Fannys Bibliothek, Spaziergängen und der heimlichen Sorge um Martha bestanden. Helene ließ Martha nur ungern aus den Augen. Dabei bewunderte sie jene Furchtlosigkeit, mit der Martha und Leontine sich in jeden noch so anrüchigen Club auf der Bülowstraße schmuggelten. Helene hasste die Nächte, in denen sie vom Stöhnen ihrer Schwester und der Freundin geweckt wurde. Nie fühlte sie sich einsamer als auf dem schmalen Bett, wenn keinen Meter entfernt auf einem ebenso schmalen Bett Martha und Leontine um Luft rangen. Mal kicherten sie, mal hielten sie inne, sie wisperten und fragten sich so laut, dass Helene es hören musste, ob Helene wohl von ihrem Geflüster geweckt wurde. Dann wieder ihr Schmatzen, das Seufzen, vor allem Marthas, und das Rascheln ihrer Bettdecke. Manchmal hatte Helene den Eindruck, sie spüre die Wärme, die von ihren Körpern ausging.
    Du kennst meinen Freund, Clemens, den Apotheker, er sucht eine Helferin, eine, die mit der Schreibmaschine kann, die hübsch ist und freundlich zu den Kunden. Ich könnte ihn fragen.
    Das ist sie, sagte Leontine und strich Helene über das Haar.
    Du bist doch verschwiegen? Martha zog zweifelnd ihre Stirn kraus.
    Das ist sie, wiederholte Leontine und hörte nicht auf, Helenes Haar zu streicheln.
    Apotheker wahren Geheimnisse, Fanny flüsterte nicht, sie raunte mit ihrer samtigen Stimme, meine, Bernards, Lucindes, die der halben Stadt.
    Helene wusste nicht, was sie antworten sollte. Im Gegensatz zu Martha war es ihr nicht gelungen, Fannys Zuneigung und Vertrauen zu gewinnen. Zwar wohnten sie nun schon fast ein Jahr bei der Tante, überließ die Tante ihnen ihre Kleider und führte sie in ihren Freundeskreis ein,

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