Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)
hat er sich von meinem Geld bedient. Und das geht gar nicht.«
» Aber du bist doch eine hübsche Frau und jung zudem. Warum hat er eine andere?«
Gina verzieht das Gesicht. »Wir haben seit neun Jahren kaum noch Sex. Es bedeutet mir nichts. Ich glaube, ich könnte es mir eher mit einer Frau vorstellen, als mit ihm.«
Lotte erinnert sich an die unangenehme Sache, die Gina erlebt hatte, an das Gerichtsverfahren und die Demütigung, nachdem sie als Mädchen missbraucht worden war. Also hatte dieses Erlebnis stinkende Früchte getragen?
»Diskussionen nützen nichts mehr. Ich habe meine Entscheidung getroffen. Wir sehen uns also heute vermutlich das letzte Mal, Lotte, und glaube mir ... das macht mich schrecklich traurig. Schließlich lebte Ottilie eine Weile bei uns in Berlin und wir alle haben viel miteinander durchgemacht. Ich werde in Zukunft mein eigenes Leben haben. Abseits der Jäckels.«
Lotte ist sprachlos.
Gina lächelt hart. »Mach kein Thema draus, bitte. Ich wollte, dass du es weißt, aber mehr muss darüber nicht gesagt werden. Ich werde von Otto kein Geld verlangen, auch nichts zurückfordern, das Haus und das Auto kann er behalten. Ich verdiene selbst genug.«
» Ich habe mich so auf das Familientreffen gefreut, und nun das ...«, flüstert Lotte. Sie würde am liebsten heulen.
Gina nimmt sie in den Arm und drückt sie an sich. »Freue dich weiter. Dinge geschehen im Leben und wir müssen damit klarkommen. Lass uns die Stunden genießen. Deine Idee war wunderbar, und ich freue mich, dass wir noch einmal alle beisammen sind.«
Lotte nickt still.
Sie bringen Geschirr, Besteck, Servietten und die Salatschüssel in den Garten. Dort sammeln sie sich um den kleinen Tisch und essen.
» Weißt du noch, wie wir die Flaggen geklaut haben?«, fragt Otto, eindeutig angesäuselt.
Frank grinst mit fettigen Lippen. »Das waren noch Zeiten. Heute käme ich den Fahnenmast nicht mehr hoch.« Er pocht sich an die Brust. »Die Luft. Sie ist weg. Zu viel Kohlenstaub da drinnen.«
» Na, na«, wiegelt Rudi ab. »Zehn Jahre machen einem wie dir doch nichts aus, oder?«
» Als Bergmann zählt jedes Jahr doppelt«, antwortet Frank, dessen Stimme schon etwas schwer klingt. »Vor drei Jahren habe ich mir das Rauchen abgewöhnt, aber vermutlich zu spät. Wenn ich mich zu sehr anstrenge, kann es sein, dass mir der Atem wegbleibt.«
» Man müsste mehr für euch Bergleute tun. Auch für die Zeit nach dem Arbeitsleben«, sagt Traudel. »Ihr habt Deutschland so viel gegeben und nun seid ihr Wracks.«
Frank schüttelt den Kopf. »Nicht in diesem Land. Die Kohle hat keine Zukunft mehr und wir sind nur noch der Abschaum. Es werden immer weniger deutsche Bergleute. Die Südländer übernehmen unsere Arbeit. Schaut euch um. Seit ein paar Monaten gibt es eine neue Partei, die sich Die Grünen nennen. Die denken genauso wie du, Traudel, aber sie haben nicht zu melden. Vielleicht irgendwann mal, aber heute noch nicht. Und dieser neue Präsident, ich glaube, er heißt Carstens, hat sich auch dazu geäußert. Weg von der Kohle, hin zur Kernkraft.«
» Wenn es schon nur schlechte Nachrichten gibt, sollten wir uns auf jeden Fall freuen, dass sie diesen Filbinger an den Hintern gekriegt haben«, sagt Otto. »Ein Ministerpräsident, der Todesurteile unterschrieb? So etwas darf es in Deutschland nicht geben.«
» Pah«, stößt Piefke hervor. »Die Altvorderen sitzen doch auch heute noch überall. Kein Wunder, dass die RAF denen den Arsch aufreißen will. Wenn es nach mir ginge ...« Er hüstelt. »Alte Nazis auf hohen Posten. Ja, wo leben wir denn? Und wenn ich dann noch die Bildzeitung lese, kriege ich’s kotzen. Auf der einen Seite die alten Nazis und auf der anderen Seite dieses Verblödungsblatt, das schon mehr als vier Millionen lesen. Herrlich, dass man ihnen eins verpasst hat.« Er trinkt und knallt die Flasche auf den Tisch. Seine Augen leuchten und nun ist er wieder der Junge, der Rowdy, der Unangepasste. »Vor ein paar Wochen wurde die Bild z eitung zu fünfzigtausend Mark Schmerzensgeld verurteilt. Die hatten in ihrer Berichterstattung über den Mord an dem Chef der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, eine harmlose Studentin als »Terroristen-Mädchen« diffamiert. Obwohl gegen sie strafrechtlich nichts vorlag, muss man wissen. Die hat das nicht auf sich sitzen lassen und ist nun um einiges reicher. Ihr müsst mal das Buch von Günter Wallraff lesen. Der hat fast vier Monate unerkannt bei der Bildzeitung gearbeitet. Was der
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