Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)
grinst und streicht die Bettdecke glatt, eine mechanische Bewegung ohne Sinn. »Wenn man dich schnappt, wanderst du in den Bunker.«
» Keiner schnappt mich.«
Thomas runzelt die Stirn. »Was ist mit Uffz Trecker? Hast du was über ihn gehört?«
» Keine Ahnung. Die haben ihn sofort mitgenommen. Ich schätze, den sehen wir nicht wieder. Es geht das Gerücht um, er ist schwul.«
» Armer Kerl, schwul oder nicht. Das geht über ein Diszi hinaus.«
Ein Diszi ist ein Disziplinarverfahren. Drei davon, und man wird unehrenhaft nach Hause ges chickt – mit einer polizeilichen Eintragung. Vorstrafe á la Bundeswehr.
» Die werden ihn rauswerfen, ist doch klar«, grunzt Lars.
Erneut poltert es und wieder wird die Tür aufgerissen. Stabsunteroffizier Ditschig tritt ein.
Sofort springt Lars auf und nimmt Haltung an. »Aaaachtung!«
Thomas folgt ihm und drückt die Brust raus und die Fingerspitzen an die Stirn.
»Rührt euch«, winkt der kleine Mann ab. Über seine Stirn läuft Schweiß, doch er trägt seine lächerliche Kopfbedeckung akkurat, ein krempenloses Hütchen, welches in der Mitte zusammengequetscht ist und keck auf dem Kopf klemmt, ein sogenanntes Schiffchen. Die feisten Brillengläser in der feisten schwarzen Umrandung sind beschlagen. Die feisten Lippen unter den feisten Nasenflügeln beben wie bei einem feisten Kaninchen, das den Kochtopf wittert.
Seit einer Stunde ist Dienstschluss.
Dennoch muss alles seine Ordnung haben, wenn sich ein Vorgesetzter auf die Stube verirrt, egal, was die Uhr zeigt. Vorgesetztengewalt endet nie. Das ist nicht wie in einer Firma, nachdem Feierabend ist und der Chef nichts mehr zu melden hat. Hier muss man jederzeit damit rechnen, dass etwas geschieht, meistens etwas Ungemütliches.
» Spinde auf!«, kreischt der Stuffz und watschelt hin und her, ohne Thomas Wille aus den Augen zu lassen.
Wie Marionetten reißen die Soldaten ihre Spinde auf und der Vorgesetzte baut sich vor Thomas’ Schrank auf. Die Hemden sind auf DIN A 4 gefaltet, alles liegt, wo es liegen soll, es gibt keine überflüssige Falte. Jedes Teil wie mit dem Lineal gemessen neben- und hintereinander. Hier hätte sogar Mutter Wille ihre helle Freude und würde begeistert ihren typischen Krählaut ausstoßen. Einer denkt an mich!
Ditschig , von dem man munkelt, seine Beförderung zum Feldwebel stehe bevor, hebt seinen runden Körper auf die Zehenspitzen und wischt die Hemden mit einer Bewegung aus dem Spind, sodass sie wie himmelblaue Vögel auf den blankgescheuerten Holzfußboden flattern.
» Mir scheint, Gefreiter Wille, Sie haben auch nach acht oder neun Monaten nicht gelernt, Ihren Schrank korrekt einzuräumen«, sagt der Mann leise.
Lars räuspert sich, denn er scheint zu sehen, dass Thomas’ Hals bebt, dass er kurz davor ist, dem Stuffz eine reinzuhauen, und dennoch in ‚Rührt-Euch-Stellung’ steht, also einen Fuß locker abgewinkelt, was genauso ungemütlich ist wie jede andere Position.
Die Hemden liegen auf dem Boden und von Ditschigs Nase fällt ein Schweißtropfen genau auf einen Hemdkragen. »Einräumen!«, befielt Ditschig.
Soll Thomas sich bücken? Vor diesem Zwerg sich erniedrigen? Nur, weil dem danach ist, sich an einem Gefreiten zu rächen?
Der Stabsunteroffizier macht zwei Schritte zurück, als sei er von Thomas’ Schweigen gewarnt. »Nun machen Sie schon.«
Thomas hebt ein Hemd auf, dann noch eines und noch eines, wobei er versucht, den Rücken möglichst gerade zu halten und den Kopf so weit oben wie möglich, was lange Arme erfordert, aber die hat Thomas. Er legt die Hemden auf sein Bett, obere Etage, und beginnt auf Kinnhöhe, eins zusammenzulegen.
» Die Hemden sind schmutzig. Wie kommen Sie auf die Idee, diese Hemden zusammenzulegen, Gefreiter Wille?«
» Ihr Befehl, Herr Stabsunteroffizier.«
» Selbst denken, Wille. Darum geht es hier. Nur ein Soldat, der selber denkt, ist ein guter Soldat.« Er macht eine Kunstpause. »Sie sind ein arroganter Kerl, Wille. Sie meinen, über den Dingen zu stehen, aber ich verspreche Ihnen, dass auch Sie noch auf die Schnauze fallen werden.« Er zeigt auf ein Hemd. »Einer meiner Schweißtropfen ist auf diesen Hemdkragen getropft. Wollen Sie mir weismachen, mit diesem Gestank am Hals demnächst ihre Dienstuniform ausführen zu wollen?«
Das glaubt mir zuhause keiner , denkt Thomas. Was hier geschieht, ist fast schon wieder lustig, ist bizarr, eine Satire. Aber die Satire hat keinen Herrn, folglich gedeiht sie unter jedem Herren gut.
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