Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)
jedem Wohnzimmer sein, in dem er Kunden berät oder solche, die es werden sollen.
Nun sitzen sie sich gegenüber.
Sie betreiben Konversation. Otto sagt, er habe schon gestern mit ihm gerechnet, und wie es Lotte und Frank gehe und Ottilie und so weiter.
Endlich kommen sie zum Punkt, und bevor Otto dazu etwas sagen kann, kommt Thomas ihm zuvor. »Die Arbeit ist nicht der einzige Grund, warum ich hier bin, Otto.« Thomas lässt den »Onkel« einfach so weg und das schmerzt Otto etwas. Aber so ist die Jugend von heute. Autoritäten muss man biegen. Nur nicht so sein, wie die Alten es wollen oder erwarten.
Otto schweigt. Das hat er gelernt. Immer warten. Irgendwann fängt das Gegenüber an zu reden, und schon hat man die Gesprächskontrolle, ohne dass derjenige es ahnt. Otto hat diese Feinheiten in sein Privatleben übernommen, was sich nach den Jahren nicht vermeiden lässt.
»Es geht um ein Foto«, sagt Thomas. »Mit Vater kann ich darüber nicht sprechen, aber ich glaube, du wirst mir helfen können.«
Otto nickt und schweigt.
Thomas berichtet von dem Foto und dem Fahnenmast und Erinnerungen wallen in Otto auf, die so intensiv sind, dass ihm fast die Tränen kommen. Er lacht, als er sich daran erinnert, wie es in jener Nacht war und erfährt, dass Frank die Flaggen in der folgenden Nacht wieder hingehängt hat, was er bisher nicht wusste.
» Ich habe erfahren, dass der Fotograf ein gewisser Michael Stern ist. Er nennt sich Mike Stern und ist Chef vom Dienst der Rundschau in Berlin. Ich rief in seinem Büro an, um einen Termin zu vereinbaren, und man sagte mir, er sei für ein paar Tage im Urlaub. Da er nicht weggefahren ist, könne ich ihn vermutlich in einer bestimmten Kneipe finden. Ich suchte und fand ihn. Ich tat, als sei ich ihm zufällig begegnet und die Nacht wurde lang. Um genau zu sein ... wir haben uns fürchterlich betrunken. Ich übernachtete bei ihm und heute Morgen stahl ich mich davon, ohne mit ihm gesprochen zu haben. Er schnarchte noch.«
» Ihr habt also noch nicht über das Foto geredet?«, will Otto wissen.
» Nein.«
» Wenn das, was du sagst, stimmt, stehen deinem Vater vermutlich erhebliche Summen zu. Das Urheberrecht in Deutschland ist ziemlich streng. Ich kenne das Foto und wäre im Traum nicht darauf gekommen, dass es Frank zeigt.« Otto blinzelt hinter den Brillengläsern und grinst, dann lacht er und schüttelt den Kopf, als könne er es immer noch nicht glauben. »Frank! Unglaublich. Famos. Und dein Vater will das Geld nicht?«
» Er scheut sich vor einem Konflikt.«
» So kenne ich Frank gar nicht.«
» Mich wundert das auch. Ich glaube, er möchte einfach nicht, dass man erfährt, was damals geschehen ist.«
» Mein Gott, es war ein Jungenstreich. Wen interessiert das, wenn es dich reich macht?«
» So sehe ich das auch.«
» Also weiß dein Vater nicht, weshalb du hier bist?«
» Er glaubt, es gehe um meine berufliche Zukunft.«
Otto lächelt.
Thomas reibt sich das Kinn. »Was soll ich tun?«
» Gar nichts tust du«, antwortet Otto.
Thomas runzelt die Stirn.
»Ich werde mir etwas einfallen lassen und helfe dir«, sagt Otto. Er sieht auf die Rolex. »Ich habe einen wichtigen Geschäftstermin. Du solltest dich für ein paar Stunden hinlegen. Wenn du willst, kannst du vorher duschen. Gina ist auf Dienstreise, also haben wir das Haus für uns alleine. Männerwirtschaft! Saubere Wäsche findest du im Kleiderschrank. Verhalte dich wie daheim. Wenn ich wiederkomme und du ausgeschlafen bist, reden wir weiter. Ich glaube, ich habe schon eine Idee. Und über deine berufliche Zukunft unterhalten wir uns, wenn wir in dieser Sache klar sehen. Schön eines nach dem anderen.« Otto blinzelt verschwörerisch. »Du siehst furchtbar aus, mein Junge.«
Thomas lächelt dankbar und müde.
»Gut.« Otto schwingt sich aus dem Sessel. Die Rückenschmerzen sind Vergangenheit. Er fühlt sich großartig. Giselle wartet. Während er das Haus verlässt, kribbelt es in seinem Magen und er kann ein breites Grinsen nicht unterdrücken.
Frank, du alter Schwerenöter! Du bist der berühmteste Bergmann der Welt und lebst in einer Hundehütte am Arsch der Welt! Das ist unglaublich! Und dass du das Geld nicht willst, bedeutet noch lange nicht, dass es nicht gezahlt wird. Wir haben nichts zu verschenken, mein Lieber!
Otto kennt dieses Kribbeln. Es ist ein gutes Zeichen, denn es verspricht ihm Geld. Also genau das, was er vor der Scheidung benötigt, um seine geheimen Konten zu füllen, auf die Gina
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