Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)
Eine seltsame Mischung aus Komödie und Tragik.
Tragödie.
Mike bekommt einen Schlag mitten ins Gesicht. Er taumelt und reißt um Haaresbreite den Stehtisch mit der mittig integrierten Gaslampenattrappe um. Der Mann dort nimmt den Fuß vom Koffer, über den Mike stolpert. Schimanski springt ihn an wie ein Tier, aber Mike rollt weg, durch Kippen, Spucke und klebrige Bierreste, kommt in die Höhe und duckt sich unter einem Schlag weg.
Er schnellt vor, hält Schimanskijacke an beiden Händen und sein Knie schnellt hoch, während er den Schnauzbart und dessen Kopf zu sich nach unten reißt. Der Kopf knallt auf Mikes Knie und Blut spritzt. Schimanski heult auf und bricht zusammen, und Mike wischt sich Schweiß und Blut aus dem Gesicht. Der Wirt reicht ihm ein schmutziges Handtuch und die Tür springt auf.
Vor der Kneipe dreht sich Blaulicht. Hunde bellen und Befehle schwirren durch den Schankraum.
Joints verschwinden und Ausweise werden gezückt.
»Alles klar?«, keucht Mike und sieht Arndt direkt an, ein Blick dieses Mal nicht über die Nasenspitze, stattdessen trübe und ohne Illusionen. »Das hat man davon, wenn man in so eine Absteige geht.«
Arndt schüttelt langsam den Kopf. »Die Örtlichkeit ist egal, Mike. Das passiert uns jederzeit und überall, jedenfalls einer Tunte wie mir. Vielleicht ist das ja der Grund, warum wir uns manchmal leidtun.«
Mike grunzt. »Dann lern’ Karate, Mann.«
Ein Polizist baut sich vor ihm auf, während Schimanski in den Armen von zwei Uniformierten hängt und einen Zahn ausspuckt.
So kamen sie in die Polizeidirektion 3, Berlin-Mitte. Ihre Aussage wird verlangt, schließlich hat Mike mit einer Anzeige wegen Körperverletzung zu rechnen. Er hat Schimanski, der eigentlich Theo Gartmann heißt, die Nase gebrochen, einen Zahn ausgeschlagen und eine Handvoll Haare ausgerissen.
Und der Grund?
Ein paar blöde Anmachsprüche?
Dafür schlägt man nicht auf den Anderen ein, ja, wo leben wir denn? Und das sich niemand davonmacht. Wir haben eure Personalien und kriegen euch sowieso!
Wo wir leben? In einem Land, in dem man Benno Ohnesorg erschießen konnte, ohne Strafe zu fürchten, will Mike antworten. In einem Land, in dem die Polizeiwillkür noch längst nicht abgeschafft ist und es, wie man am Beispiel von Arndt Emmerling sieht, noch immer die Intoleranz der Nazizeit gilt, in der man ungefähr 10.000 Homosexuelle in den Konzentrationslagern tötete. Aber Mike schweigt.
Ihm wird klar, wo er sich befindet und schlagartig beginnt er zu zittern. Das fällt Arndt neben ihm auf und der Mann sieht aus, als wolle er seinen Retter am liebsten in den Arm nehmen. Es hätte Mike nicht wirklich gestört, denn die Vergangenheit bricht über ihn herein und Tränen sammeln sich hinter seinen Augen.
Er ist bei der Polizei.
Er ist ein Verbrecher!
Er ist schuld daran, dass zwei harmlose Bürger getötet wurden. Was zählt eine unwichtige Kneipenschlägerei, wenn man ein Killerkommando losgeschickt hat, da man sich vor einem kleinen glatten Mann mit Hornbrille fürchtete? Im Nachhinein erfuhr Mike, dass er vermutlich sowieso nicht hätte zahlen müssen. Es gibt juristische Gründe, vor allen Dingen die sogenannte Freiheit des Bildes. Ein Grenzfall, gewiss. Aber keiner, der den Tod von zwei Menschen rechtfertigt.
Mike blickt auf und nun mischen sich Schweiß und Tränen auf seinem Gesicht. Arndt rennt los und kommt mit Klopapier zurück, in das Mike schnaubt und sich mit einem frischen Blatt das Gesicht abwischt. »Schöne Scheiße«, knurrt er.
Er muss die Nerven behalten. Zu viel Stress. Er ist ein Therapiefall, keine Frage. Und er steht kurz davor, zusammenzubrechen. Zu viel Alkohol, zu viel Nikotin, zu wenig Schlaf und Geist und Körper revoltieren. Zuviel ist zu viel!
Hört auf!, will er brüllen.
Lasst mich in Ruhe!, will er schreien.
Zu viel! Alles ist zu viel! Und sein Schädel schmerzt, denn die Alkoholwirkung lässt nach und er braucht einen Drink, zumindest einen kleinen. Oder eine Zigarette, die er auf dem Tresen vergessen hat. Ist er komplett bescheuert geworden? Prügelt sich für diese Schwuchtel? Als hätte er nichts Besseres vor?
Ich hatte nichts Besseres vor!
Die Bürotür öffnet sich und ein Mann in Jeans und Lederjacke tritt heraus. Ein Blick an ihm vorbei sieht man Theo Schimanski, der auf seinem Stuhl zusammengesunken ist. Auf dem Tisch liegen ein paar Klarsichtbeutel. So ist das also.
» Er wird keine Anzeige erstatten«, sagt der Mann. »Wir haben jetzt
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