Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)
nickt und lächelt aufmunternd. Sie steht auf und tut etwas, dass sie seit Jahrzehnten nicht mehr gemacht hat. Sie setzt sich auf seinen Schoss und drückt ihr nasses Gesicht an seinen Hals. Frank genießt das und schließt die Augen.
Verlust und Gewinn.
6
Arndt starrt geradeaus auf ein gelbes Poster des BKA, das 15 Terroristenfotos zeigt, beginnend mit Susanne Albrecht, über Christian Klar bis hin zu Brigitte Mohnhaupt. Darunter steht in fetten roten Buchstaben »Vorsicht Schußwaffen!«.
Er ist in der Polizeidirektion 3, Berlin-Mitte.
Hier findet sich der Abschaum der Stadt. Betrunkene, Zuhälter, Nutten, kleine und große Verbrecher. Hier wird verhört, vorübergehend eingesperrt und Stimmen schwirren durch die Etage. Telefone klingeln und Füße hallen auf dem kalten Bodenbelag. Trübsinnige sitzen im Flur auf den Bänken, Bürotüren stehen offen, andere sind geschlossen.
Neben Arndt hockt ein Mann, der nach Schweiß und Schnaps stinkt. Seine Kleidung mag einmal teuer gewesen sein, nun ist sie fleckig und verwahrlost.
Arndt reibt sich die vor Müdigkeit brennenden Augen und erinnert sich, wie sie hierher gekommen sind.
Zuerst war es nur ein Blick.
In Arndts Leben hat es viele solcher Blicke gegeben, also weiß er ihn einzuschätzen. Es ist einer dieser Blicke, die über die Nasenspitze wandern und einen direkt ins Herz treffen. Impertinenz und Unverständnis.
Scheiß Tunte!
Arndt weiß nicht mehr, warum, aber er stellt sich vor. Vielleicht wollte er provozieren? »Arndt Emmerling.«
» Wer?«, fragt der Mann.
» Arndt ...«
» Wer will das wissen?«
Blöder Scherz!
Arndt möchte sich soeben wegdrehen, als der Mann sagt: »Tut mir leid. Hatte einen wie dich in einem Heteroladen nicht erwartet. Hat schon was von Suizid.«
Nun lächelt Arndt. Guter Scherz! Und bittere Wahrheit. »Vielleicht ist da was dran.«
» Mike«, stellt der Mann sich vor und seine Stimme hat einen versöhnlichen Unterton. Sie reichen sich die Hand. Der Wirt runzelt die Brauen und schüttelt den Kopf. Die Musik ist laut. Stimmengewirr und Zigarettenrauch. Es stinkt nach ungereinigten Bierleitungen und altem Abwaschwasser. Der Fußboden ist klebrig und überall liegen Bierdeckel. Ein paar Kerzen sollen den Schmutz verschleiern und das Licht ist fast auf null gedimmt. An einem Tisch in einer dunklen Ecke rauchen Gäste einen Joint. Weiter weg, an einem Stehtisch, lümmelt jemand, der drüben vom Bahnhof Zoo gekommen ist, einen Fuß auf seinen Koffer gestützt. Er schüttet einen Schnaps nach dem anderen in sich rein. Zwei Punks streiten sich. Ein anderer mit Schimanskijacke und langen fettigen Haaren, malt Kringel in eine Bierpfütze auf dem Tresen.
» Was treibt dich an diesen gefälligen Ort?«, fragt Mike.
» Suizid?«
» Nein, wirklich?«
Arndt lacht. »Der Zufall. Und schlechte Laune. Hier ist’s so, wie es sein muss.«
» Kapiere ich nicht.«
» Düster.«
» Aha. Jetzt kapiere ich. Hier kann man vor dem Tresen umfallen und sie räumen dich erst weg, wenn du schon stinkst.«
»Du sagtest, einen wie mich würdest du hier nicht vermuten? All diese John Waynes und ich mittendrin?«
» Irgendwie schon«, sagt Mike. »Andererseits ist es mir komplett wurscht, ob du schwul bist oder Hühner vögelst.«
Arndt schüttelt sich und leert sein Weinglas. »Danke. Du bist ja ein richtig Netter. Deine ungehobelten Worte sind politisch korrekt, aber dein Blick sagt was anderes.«
Mike winkt müde ab. »Weiß ich, wie ich blicke?«
Sie grinsen sich an und Mike bestellt ein Bier für sich und einen Rotw ein, saure Hausmarke, für Arndt, der kein Bier will. Eigentlich doch ein ganz angenehmer Kerl, wie es scheint, denkt Arndt und verabschiedet sich zum WC. Er geht durch die Kneipe, oder besser: Er schwebt. Und wie üblich, folgen ihm zahllose Blicke und viele Gäste runzeln die Stirn. Blicke, die wie Speere sind und sich in seinen Rücken bohren.
Verdammt, denkt er. Ihr predigt Love and Peace und tragt lange Haare und Hippieklamotten, aber im Herzen bleibt ihr Spießer. Irgendwann werdet ihr achtbare Jobs haben und dem reaktionären Lager angehören. Die meisten von euch werden Joints und Make Love, not War vergessen haben. Und das, was man Toleranz nennt, sowieso.
Es schaudert Arndt vor dieser Bigotterie. Sie lehnen sich auf gegen ihre Eltern und die bestehende Gesellschaftsordnung, doch fürchtet Arndt, dass diese Auflehnung nichts weiter ist, als eine Entschuldigung dafür, um kiffen, vögeln und gammeln zu
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