Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)
einen ganzen Kasten Bier.«
Thomas grinst schräg. So ist seine Mutter. Er würde sich nicht wundern, wenn sie eine Thermoskanne mit Kaffee aus der Tasche holt, dazu Kartoffelsalat und Knackwürstchen. Schaffe, schaffe, Häusle bauen!
Seine Mutter hat den Lottoschein verloren. Wie kann so etwas passieren? Kein Wunder, dass sie jetzt noch knauseriger ist als sonst. Wenn er an diese Sache denkt, wird er wütend und traurig gleichermaßen und sieht seine Mutter von der Seite an, ein Blick, in dem sich Mitleid und Verachtung mischt. Und Vater tut ihm leid, denn vor allen Dingen ihm hätte er das Geld gegönnt. Sparsam eingeteilt hätte es ihm die Frührente erleichtert und über die mageren Jahre hinweggeholfen, bis die Knappschaft das volle Geld zahlt.
» Nichts da. Wer Durst hat, soll trinken«, sagt Vater, der sich zu der Lottosache nicht mehr einmal geäußert hat. Für ihn scheint das erledigt zu sein. Das Leben geht weiter.
So kommt Thomas zu seinem Bier und Lydia zu ihrer Cola, zwar nicht in einem Festzelt, aber das macht nichts. Die Festzelte sind gigantisch. Im Hofbräu-Festzelt gibt es 8.000 Sitzplätze, ganz zu schwiegen vom Hippodrom oder dem Bräurosl . Je später es wird, desto mehr Besucher werden abgewiesen. Jetzt braucht man eine Einladung, sonst geht gar nichts. Vielleicht eine vom Thomas Gottschalk oder von Thommi Orner, von Kaiser Franz oder von Hansi Müller.
Thomas gönnt sich noch eine Mass und merkt den Alkohol. Fast zwei Liter Bier, das haut rein. Sind vier Pullen. Gut, dass Lydia fährt.
Bei Pitt’s Todeswand legen sie eine Pause ein. Frank zahlt und zahlt und ihm scheint das Geld locker zu sitzen. So ist er. Wenn schon, denn schon! Sie stehen an der Oberkante eines Kessels, eigentlich ist es ein großer, hölzerner Zylinder von etwa acht Metern Durchmesser und acht Metern Höhe. An seiner Innenwand rasen Motorradfahrer - nur durch die Fliehkraft gehalten - bis dicht an die Oberkante, an der die Willes und Lydia atemlos zuschauen. Dabei vollführen die Fahrer akrobatische Übungen im Sattel.
» Moderne Motorräder sind dafür ungeeignet, deshalb werden Maschinen aus den 20er und 30er Jahren benutzt«, erklärt Frank Wille und Thomas wundert sich einmal mehr, wie wenig er über seinen Vater weiß. Zwar waren sie früher öfters auf kleinen Jahrmärkten, aber dass der strenge Mann ein Freund dieser Dinge ist, erstaunt Thomas. Sogar Mutter sieht ihren Mann erstaunt von der Seite an.
Lydia steckt die Rose in ihr Revers und Thomas hat den Eindruck, sie findet ihn stoffelig. Warum lässt er sich nichts Nettes einfallen? Er könnte ihr ein Lebkuchenherz schenken, auf dem steht: I hob di lieb! Nein, das findet er albern. Er wird sich was anderes ausdenken.
Es wird dunkel und überall gehen die Lichter an.
»Erst jetzt erstrahlt ein Jahrmarkt richtig«, sagt Vater. »Tagsüber hat das nur die halbe Wirkung.« Er scheint unendlich Kondition zu haben. Er eilt mit seiner Familie von Attraktion zu Attraktion und sein Gesicht strahlt wie das eines Kindes zu Weihnachten.
Lotte beobachtet ihren Mann skeptisch. Sie erinnert sich an die Tage, an denen er es, wie sie es nennt, zu bunt treibt. Wenn Thomas zu Besuch kommt oder Ottilie und Jasmina oder alle gemeinsam. Dann trinkt er zu viel, lacht, ist aufgekratzt, freut sich, dass sie ihn aus seiner selbstgewählten Isolation holen, und wenn sie gegangen sind, legt er sich hin und leidet. Manchmal drei oder vier Tage lang. Er verkraftet das nicht mehr und seine Regenerationszeit ist lang. Und sie, Lotte, hat die Arbeit und muss sich sein Jammern anhören. Sie ist ärgerlich, dass er wieder mit dem Rauchen begonnen hat, was dazu führte, dass er in letzter Zeit schlechter Luft bekommt.
»Sollten wir nicht bald nach Hause?«, fragt sie ihn. Außerdem haben sie Unmengen Geld ausgegeben. Frank ist nicht zu halten. Was er sieht, will er haben und jede Attraktion wird ausprobiert, auch wenn man sich in die Warteschlange stellen muss.
» Zuerst kommt die Kraft, dann die Ruhe«, sagt Frank sophistisch und haut den Lukas. Er ist ein Kraftprotz und es bimmelt, als der Schieber oben ankommt. Frank stellt den Hammer weg und strahlt übers ganze Gesicht. »Dreißig Jahre unter Tage, meine Lieben, da kriegt man Muckis.« Lotte lacht und Thomas verdreht die Augen. Sein Vater als Haudrauf, er glaubt’s nicht.
» Was hast du?«, fragt Lydia.
Thomas grunzt und schweigt.
»Blödmann«, sagt sie. »Sei froh, dass du so einen Vater hast. Meiner würde hier niemals
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