Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)
daran, was sie ihm antat. Ein Verlust. Und er denkt an seinen Sohn und seine Tochter, die ihm so weit entfernt sind. Verlust. Na ja, zumindest sein Handgelenk ist prima verheilt.
Und was ist mit dem frohen Mut, ihn zu ersetzen?
Er ahnt, dass Lotte nachhause kommen wird, ohne den Lottoschein gefunden zu haben. Er wird ihre Tränen trocknen müssen und sie werden eine Innigkeit erfahren, die schon lange dahin schien. Ein Gewinn, keine Frage.
Er hat einen Plan.
Er wird Thomas und Lydia und vielleicht auch Ottilie einladen. Lottchen wird Kuchen backen und dann wird er, gemeinsam mit der Jugend, einen schönen Vorschlag machen. Sie werden nach München fahren. Zum Oktoberfest. Er wird alles bezahlen.
Ja, das wären was. Da will er schon immer mal hin.
Sein, wie ein Kind. Spaß haben wie in einem Früher, an das er sich nicht erinnert, aber das existiert haben muss.
Er lehnt sich zurück und wartet auf Lottchen. Er schöpft Kraft aus der Ruhe, denn er wird stark sein müssen. Liebe Güte, er ist so zornig. So enttäuscht. Doch er wird es nicht zeigen. Schweigen und Fatalismus hat er gelernt. Zu viele Menschen starben vor seinem Gewehr. Zu viele Tote, die ihm zuwinken.
Zu viel Gewalt und Aggression.
Er wird stark sein, auch wenn der Verlust schmerzt. Dinge geschehen, was soll man tun? Davon geht die Welt nicht unter. Wie Lotte allerdings reagieren wird, das ahnt er. Und es macht ihm Angst.
Franks Sorge ist berechtigt. Er sieht es schon von weitem. Lottes Gang hat seine Spannkraft verloren, sie schlurft, als sei sich gar nicht vor Ort, sondern ganz woanders, bei sehr viel Geld, bei zerstörten Träumen und ihrem Schuldbewusstsein. Sie kommt ins Haus und schüttelt den Kopf. Bleich und ausgezehrt sieht sie aus, denkt Frank, und es ist nicht genug Kraft in ihm, sie in den Arm zu nehmen.
Zu sehr bohrt die Hoffnung, die zerplatzt ist wie Fallobst auf der Straße.
Lotte setzt sich an den Küchentisch und stützt die Arme auf. Sie starrt vor sich hin und dann sagt sie: »Das werde ich mir niemals verzeihen. Warum passiert ausgerechnet uns so was? Für was bestraft mich das Leben? War ich eine schlechte Mutter, eine schlechte Tochter, eine schlechte Frau?« Sie blickt ihn an und sie tut ihm unendlich leid.
» Du bist eine wunderbare Frau«, murmelt er und noch immer klingen seine Worte trübe und nicht ehrlich. Er strafft sich, geht zu ihr und drückt ihren Kopf an seinen Bauch. Er streichelt ihre Haare. »Vielleicht taucht der Schein ja wieder auf. Weißt du noch, was Muttel immer sagte?«
Sie hebt den Kopf und lächelt gequält. »Haus verliert nichts.«
» Eben. Manchmal, wenn man etwas sucht, vergisst man das Naheliegende und plötzlich taucht das Gesuchte wieder auf. Erinnerst du dich, als Tom zwanzig Mark von seinem Geld vernisste? Er ist bald durchgedreht, so sehr hat er sich darüber aufgeregt. Er hat alles auf den Kopf gestellt, und zwei Monate später hast du den Schein zufällig beim Putzen gefunden. Er war in eine Sesselritze gerutscht, wo ihn niemand vermutet hat.«
» Wir haben keine zwei Monate Zeit.«
» Danach müssen wir uns erkundigen. Außerdem sagt niemand, dass es so lange dauert. Lass uns nachdenken, wo du ihn zuletzt gesehen hast, dann rekonstruieren wir alles ganz langsam und überlegt.«
» Er muss mir aus der Handtasche gefallen sein. Irgendwo unterwegs.«
» Ja, ich weiß.«
» Ich dachte, ich hätte das Geld vergessen und wollte nachsehen. Das Portemonnaie war da. Vielleicht hat der Schein am Leder geklebt oder so ...« Sie zuckt verzweifelt mit den Achseln. »Ich weiß es doch nicht mehr.«
Sie senkt den Kopf und Tränen fallen auf die Tischplatte.
Er setzt sich ihr gegenüber und nimmt ihre Hände, raue Finger vom Arbeiten mit ersten kleinen Altersflecken. »Wenn man versucht, sich an etwas zu erinnern, sollte man an etwas ganz anderes denken. Dann fällt es einem wieder ein. Hast du die Straße genau abgesucht?«
» Ich weiß sogar noch, wann und wo ich das Portemonnaie aus der Handtasche genommen habe«, schluchzt sie. »Aber da ist nichts, weder auf der Straße, noch in den Büschen, obwohl wir keinen Wind haben und keinen Regen. Wenn, dann müsste ...«
» Er ist ganz woanders, Lottchen. Ich wette, er wird auftauchen«, sagt Frank ganz leise und irgendwie vertraut er seinen Worten. »Noch haben wir Zeit, bis der Gewinn verfällt. Warte ab, Liebste, er wird sich einfinden und dann können wir alle darüber lachen.«
» Meinst du?« Wie ein kleines Mädchen.
Er
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