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Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Titel: Die Mitte des Weges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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können.
    Er erleichtert sich, wäscht seine Hände und geht zurück zu diesem Mann, der ihn über die Nasenspitze hinweg gemustert und einen Rotwein spendiert hat. Marianne Faithfull krächzt "The Ballad Of Lucy Jordan" und der Wirt sucht in seinen Musikkassetten nach Abwechslung.
    Sie prosten sich zu. »Pass bloß auf, dass sie nicht denken, wir hätten was miteinander«, sagt Arndt.
    Mike zuckt mit den Achseln. »Du tust dir ganz schön leid, oder?«
    Arndt trinkt und lehnt die Zigarette, die Mike ihm anbietet, ab. Er hat das Rauchen vor einem halben Jahr aufgegeben. »Wieso?«
    » Definiert ihr euch nur über eure Sexualität? Stelle dir vor, ich quatsch mit dir eine Zeitlang am Tresen übers Wetter und verschwinde irgendwann, und die ganze Zeit über ist mir egal, wen du wann und in welche Öffnung bummst. Kommt dir so etwas gar nicht in den Sinn?«
    Arndt traut seinen Ohren nicht.
    Mike fährt fort: »Typisch schwul ... diese Fixierung auf das Sexuelle. Manchmal scheint mir, ihr fühlt euch wie Schwarze unter weißen Obermenschen und manche von euch tragen eine Wut vor sich her, die erstaunlich ist.« Mike schüttelt den Kopf. »Benehmt euch doch einfach normal ... und fertig!«
    So ähnlich hat sich auch Mark ausgedrückt, der es ablehnte, in sogenannten Szenelokalen zu verkehren. Ghettoisierung, nannte er das. Auch er hatte sich stets bemüht, den selbst auferlegten Makel des Andersseins nicht zuzulassen.
    Und nun muss Arndt sich das von einem Hetero sagen lassen. Von einem abgerissenen Kerl, der aussieht, als saufe er zu viel, der stinkt und über seine besten Tage hinaus ist. Liebe Güte, warum überhaupt hat er auf den seltsamen Blick reagiert? Er hätte den ekelhaften Wein trinken oder stehen lassen und abhauen sollen. Mike ist keiner, der jemanden aufgabeln will. Er ist einer, der im Alkohol Vergessen sucht und sich am liebsten in die Niederungen des Bahnhofsviertels herablässt.
    Genauso wie ich?
    Wie bin ich hier überhaupt gelandet?
    Arndt hat seit Jahren keinen Erfolg mehr gehabt. Sein Verlag deutet an, sich von ihm zu trennen. Michaels Endes Die Unendliche Geschichte , Tolkiens Herr der Ringe , und der unverwüstliche Simmel mit Wir heißen Euch hoffen belegen die Bestenliste. Aus Arndts Verlag ist kein Buch dabei. Die eingereichten Manuskripte taugen nicht viel und neue Autoren haben so gut wie keine Chance. Alle sind etabliert, eine große Familie, und Arndt Emmerling gehört nicht dazu. Seitdem Mark sich aufgehängt hat, ist sein Leben trübe geworden.
    Er blickt auf die Armbanduhr. In dreißig Minuten fährt seine Bahn. Es wird Zeit. Für heute hat er sich genug leidgetan.
    » ... ich mich«, hört er Mikes Stimme.
    » Was sagst du?«
    » Aber vielleicht irre ich mich«, wiederholt Mike. »Schließlich bin keiner von denen, die ...« Er ringt nach Worten.
    » Lass es gut sein«, winkt Arndt ab. So sind sie, die Heteros. Sie wollen begreifen und letztendlich verheddern sie sich in Peinlichkeiten.
    Der mit der Schimanskijacke steht unversehens hinter Arndt. »Küsschen für mich?«, knurrt er. Sein nach unten gebogener Schnauzbart zuckt bedrohlich. Die langen Fetthaare wirken tropfnass.
    » Hau ab. Lass ihn in Ruhe«, sagt Mike zu Schimanskijacke und Arndt sammelt in Gedanken seine Sachen zusammen, um eilig zu verschwinden. Welcher Teufel hat ihn geritten, hierher zu kommen? Es ist immer das Gleiche. Wie in einem mittelprächtigen Western. Knurrige Machoworte und Gewaltbereitschaft im Blick, während die Mundwinkel schon vor Erwartung zucken.
    Schimanskis Hand landet auf Arndts Hintern und drückt zu. »Na, Tunte? Geht dir einer ab?«
    » Lassen Sie mich bitte«, flüstert Arndt.
    Another Brick in The Wall, singt Roger Waters. Wie passend, denkt Arndt.
    » Du hast es gehört, Mann«, sagt Mike. »Er will nichts von dir.«
    » Bist du eifersüchtig?«, fragt Schimanski, zumindest die düstere Ausgabe des fiktiven Kriminalbeamten aus Duisburg.
    Und es kommt, wie es kommen muss.
    Mike und Schimanski prügeln sich und Arndt steht daneben, ringt mit den Fingern und quiekt bei jedem Schlag wie ein Mädchen. Er tupft die Handfläche vor den Mund, hört sich selbst und schämt sich bodenlos, aber einfach abhauen will er auch nicht, denn dieser verdammte Mike beschützt ihn. Die Gäste bestaunen den Kampf, der von Arndts hellen Lauten unterbrochen wird, über die sie lachen, während Gläser vom Tisch fallen, der Wirt hektisch telefoniert, die Punks zur Seite springen und eine Kerze ihren Wachs verspritzt.

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