Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)
anderes, viel wichtigeres mit ihm zu besprechen. Eigentlich müssten wir Ihnen dankbar sein, Herr ...«
» Stern. Mike Stern.«
Der Beamte nickt. »Geht es Ihnen gut, oder soll ich sie ins Krankenhaus bringen lassen?«
Mike seufzt. »Mir geht es gut, Herr Kommissar.«
Der Mann winkt ab. »Kommissar? So weit ist es noch nicht. Dann ist ja alles klar, oder?« Sein Blick scheint Mike aufzuspießen und nun laufen Tränen und Mikes Unterlippe zittert und er flüstert: »Nichts ist klar.«
» Wie bitte?«, fragt der Beamte freundlich. »Sie sagten doch ...«
Mike blickt auf und tatsächlich liegt jetzt die warme Hand von Arndt auf seiner.
»Ich will hier bleiben. Ich muss hierbleiben«, schluchzt Mike.
Der Beamte in Jeans und Lederjacke blinzelt verwirrt.
»Herr Kommissar. Ich bin ein Mörder!«
Der Beamte fängt sich. »Nein, sind Sie nicht, Herr Stern. Herrn Gartmann geht es gut, auch wenn er einen Zahn verloren hat. Was wir bei ihm fanden, wird ihm eine Menge Probleme bereiten. Machen Sie sich keine Sorgen und halten sich in Zukunft von solchen Sachen fern. Eigentlich müssten wir alle Ihnen dankbar sein.«
» Ich bin ein Mörder.«
» Wollen sie sich um ihn kümmern?«, fragt der Beamte und blickt Arndt an. »Ich glaube ...« Er räuspert sich und macht mit Daumen und Zeigefinger das Zeichen für Trinken . »Er braucht was.«
Arndt nickt und sagt: »Komm, Mike. Wir gehen. Ich bringe dich nach Hause, wenn du willst. Oder du kommst zu mir.«
Der Polizist schmunzelt.
Mike springt auf. »Verdammt, kapiert ihr denn nicht, was los ist?«
» Bringen sie ihn raus«, sagt der Beamte, jetzt einen Deut strenger. »Hier sind heute sowieso alle nervös, als läge was in der Luft.«
» Na klar«, sagt Arndt. »Wir sind schon weg. Und danke nochmals. Erstaunlich, wie schnell sie vor Ort waren.«
Im selben Moment ertönen aus mehreren Büros Rufe. Männer und Frauen erscheinen auf dem Flur.
»Macht mal den Fernseher an!«
» Da ist was passiert, in München!«
» Liebe Güte, guckt euch das an!«
Der Beamte macht ein Gesicht, als wolle er sagen, er habe es ja gewusst, macht eine entsprechende Huschhusch-Handbewegung und geht in sein Büro. Die Tür fällt hinter ihm zu.
»Ich bin ein Mörder«, bekräftigt Mike.
Die Rufe, es sei in München etwas Schreckliches geschehen, übertönen sein Gewissen und sein Flüstern sowieso.
7
Sie sind erst später gekommen, denn die Zufahrtswege waren verstopft. Doch nun sind sie auf der Theresienwiese.
Frank, Lotte, Thomas und Lydia staunen über die Menschenmenge, die sich über die Wiesn wälzt. Köpfe und Schultern, soweit das Auge reicht. Wie ein auf und ab schwappendes Meer. Alles wirkt unübersichtlich. Von überall her ertönt Musik. Marktschreier, Kirmessprecher, Kinderlachen, quietschende Menschen in der Achterbahn. Man hat die Wahl zwischen zwei Gassen. Die Wirtsbudenstraße oder die Schaustellerstraße.
Es riecht nach Brathendl, gebrannten Mandeln, Wurst, Brezen und Bier. Es wird gelacht, Kleinkinder heulen, erregte Eltern versuchen, die Kleinen zu beruhigen, Menschen aller Länder und Hautfarben schwatzen, trinken, essen, und endlich kommen die Willes zu den Attraktionen.
» Das interessiert mich besonders«, sagt Frank und seine Augen glänzen wie die eines Kindes. »Hier gibt es noch einen echten Floh-Zirkus. Und einen Hau den Lukas.«
In der Herzzentrale schenkt Frank seiner Lotte ein Fotoherz. Lydia hat glühende Wangen und Thomas tut so, als nehme er die Peinlichkeit nicht wahr, vor allen Dingen nicht, wie seine Mutter Vater Wille küsst wie ein junges Mädchen.
An der Krinoline spielt eine Musikgruppe bayrische Volksmusik.
» Und jetzt suchen wir den Mäusezirkus«, sagt Frank.
» Den was?«, will Lydia wissen.
» Lass dich überraschen«, zwinkert Frank dem Mädchen zu. Er mag sie und Thomas staunt überhaupt nicht, als sein Vater ihr eine Rose an der Schießbude ergattert. Er überreicht sie ihr mit einer leichten Verbeugung und Lydia wird rot bis unter die Augen.
Es gibt Los- und Souvenierstände. Besonders Japaner tummeln sich hier, viele schwanken angetrunken. Am Alpenrausch essen sie Zuckerwatte.
» Warum gehen wir nicht mal in eines der Bierzelte?«, fragt Thomas nach einer Weile. Er hat Durst. Der Bierduft und die vielen Betrunkenen wirken motivierend. Vielleicht kann man diesen Trubel mit zwei Mass im Blut besser ertragen.
Mutter Wille verdreht die Augen. »Ein Wiesn-Mass kostet fünf Mark sechzig. Dafür kriege ich zuhause fast
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