Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)
niemanden an, obwohl ich genug Grund dazu hätte. Und dann begegne ich Menschen wie Ihnen ... und plötzlich geschieht etwas mit mir. Etwas, dass ich verabscheue, da es mein Lebensbild durcheinander bringt. Ich entwickele Wut und Hass, denn ich begreife nicht, wie jemand, der groß, schlank, gutaussehend und intelligent ist, sich anmaßen kann, so zu sein, wie Sie. Ja, Sie sind anmaßend. Sie haben nicht gelernt, dass man sich Respekt erarbeiten muss, denn Sie glauben, man habe Sie automatisch zu respektieren, weil Sie einsneunzig groß sind und über eine gute Portion Persönlichkeit verfügen. Sie spielen den bösen Buben, aber in Wirklichkeit ist es nur schlechtes Benehmen. Was haben Sie in Ihrem Leben geleistet? Worauf können Sie stolz sein? Ich, lieber Wille, habe hart für meine Karriere gearbeitet. Es gab Tage, da schmerzten meine Muskeln und Knochen so sehr, dass ich hätte heulen können, aber ich biss mich durch. Und dann kommt einer wie Sie daher und stiehlt mir meinen Seelenfrieden. Sie sind einer der Menschen, die im anderen das Schlechteste zum Vorschein bringen.«
Thomas schnippt die Zigarette weg und Ditschigs missbilligender Blick folgt der Kippe, als wolle er sagen: Genau das meine ich!
Er fährt fort: »Was tue ich in Ihren Augen Schlimmes? Ich versuche, konsequent zu sein. Wer es so schwer hatte wie ich, Wille, der weiß Disziplin zu schätzen, denn eben diese Disziplin hat mich zum Feldwebel gemacht. Ich habe es nicht nötig, mich von einem wie Ihnen zum Narren machen zu lassen, weil Sie über eine Gabe verfügen, die ich nicht habe. Pah! Rhetorik! Jede Rhetorik geht auf die Schlange zurück, Wille. Schon mal darüber nachgedacht? Auch der einflüsternde Wesir ist ein Rhetoriker und Hitler war es auch.«
» Albern«, flüstert Thomas.
» Ich dachte mir, dass Sie so reagieren. Glauben sie es oder lassen Sie es ... ich habe nichts gegen Egoisten. Doch ein Egoist zu sein geht nicht zwingend damit einher, jeden, der einem im Wege steht, ein Bein zu stellen. Warum verprügelten Sie mich? Weil ich abwertend über den schwulen Unteroffizier sprach, der sich erhängte? Es ist nicht meine Aufgabe, diesen Mann zu begreifen, Wille. Für mich ist er jemand, der niemals hätte diesen Dienstgrad erhalten dürfen und für diese Verfehlung klage ich auch die Bundeswehr an. Doch er nahm ihn an und somit die Verantwortung. Wer Verantwortung übernimmt, muss sie ausfüllen, sonst verfügt er über einen schlechten Charakter. So gesehen war Trecker ein Feigling und Verräter. An sich selbst, der Bundeswehr und an seinem Freund, der um ihn trauert. Trecker ist wirklich niemand, den ich begreifen muss.«
Thomas schwirrt der Kopf und er erkennt bitter, dass er Ditschig auf gewisse Weise begreift.
» Ich bin gleich fertig, Wille. Und dann können Sie mit meinen Worten tun und lassen, was sie wollen. Ich habe Sie im Fernsehen gesehen und es tut mir sehr leid, was Ihnen und Ihrer Familie geschehen ist. Ich hoffe, Ihr Vater hat überlebt?«
» Er hat.«
Ditschig nickt. »Und Ihre Freundin? Sie hat einen Fuß verloren?«
» Ja.«
» Geht es ihr gut?«
» Sie bekommt eine Prothese.«
» Bleiben Sie bei Ihr?«
Die Frage des Feldwebels trifft Thomas wie ein Schlag ins Gesicht.
Ditschig lächelt. »Das dachte ich mir. Denn so sind Sie, Wille. Abschließend lassen sie sich eines von mir sagen: Sie haben kein Herz, Sie haben keine Seele. Und falls doch, schlägt alles nur für Sie selbst. Sie erwarten Applaus, ohne dafür etwas geleistet zu haben. Für mich, Wille, sind Sie ein Seelenkrüppel und Versager.«
» Kann ich gehen?«, krächzt Thomas, dem unversehens übel wird.
» Wollen Sie mich nicht verprügeln? Mir vielleicht eins aufs Maul geben? Wir sind alleine. Niemand schaut zu. Es könnte unter uns bleiben, Hauptgefreiter. Sie könnten meine Brille zertreten, so, wie man es vielleicht früher auch mit Ihrer Brille getan hat. Hatten Sie ein Kassengestell? Eines dieser hässlichen, verunstaltenden Dinger? Ja, gewiss hatten Sie es. Also, worauf warten Sie?«
Thomas schluckt.
Ditschig wendet sich ab. Er sagt: »Machen sie in den letzten Tagen der Übung, was Sie wollen. Sie sind mir egal. Es lohnt sich nicht, mit Ihnen zu arbeiten. Sie sind es nicht wert. Gehen Sie wieder nach Hause und schenken Sie mir meinen Seelenfrieden zurück. Ich verabscheue, was Sie mit mir anrichten. Sie wollen, dass man Sie respektiert, doch Respekt muss man sich verdienen. Ich weiß, dass einem wie mir das nicht gelingt, doch Sie
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