Die Mitternachtsprinzessin
Jeder Schuljunge in den höheren Klassen lernte Griechisch und Latein und kannte schon in jungen Jahren Homers Helden und Platos Dialoge.
Kein Wunder, dass die ton von ihr verzaubert ist, dachte er, als er weiterging und alles beobachtete. Eine echte, lebendige griechische Prinzessin, die für ein Land kämpfte, dass die demokratischen Ideale, die die zivilisierte Welt jetzt so schätzte, mit hervorgebracht hatte.
Hätte er sie nur nicht so aufgeregt. Sie zu verletzen, war nicht seine Absicht gewesen. Er hatte versucht, so behutsam wie möglich seine Verdächtigungen vorzubringen. Aber er hatte nicht geahnt, wie empfindsam sein kühnes Messermädchen in dieser Beziehung tatsächlich war.
Jedes Mal, wenn er sich an ihren Gesichtsausdruck erinnerte, als er ihr von seiner Vermutung, es könnte einen Verräter geben, erzählt hatte, versetzte es ihm einen Stich.
Er wünschte, den Mund gehalten zu haben, bis er einen Beweis hätte Vorbringen können.
So aufmerksam er auch Leons Aufzeichnungen durchgesehen hatte, nichts Nützliches hatte er darin gefunden. Vielleicht irrte er sich. Vielleicht war er nur übertrieben ängstlich.
Und vielleicht begannen seine immer tiefer werdenden Gefühle für sie bereits, sein Urteilsvermögen zu beeinträchtigen. Genau das hatte er befürchtet.
Ruhelos ging Gabriel weiter. Der nächste Salon war nur schwach beleuchtet, eine Dampfwolke umgab eine üppige Schauspielerin, die das Orakel von Delphi darstellte. Sie hatte sich eine große lebende Schlange um die Schultern gelegt und sagte den Gästen die Zukunft voraus, wenn diese es wünschten. Gabriel ließ den Blick aufmerksam über das Publikum wandern, dann ging er weiter.
Der letzte Raum, den er durchquerte, ehe er in den Ballsaal zurückkehrte, war als Spielbank umfunktioniert worden. Die Einnahmen dieser Nacht würden an das Volk von Kavros gehen.
Seine Männer in diesem Zimmer bestätigten ihm, dass alles in Ordnung war. Gabriel nickte. Plötzlich entdeckte er einen Whisttisch, an dem sich Cousins von ihm und Freunde versammelt hatten. Die Zwillinge Lucien und Damien Knight, ihr Schwager William, Lord Rackford, und Devlin, Lord Strathmore, der Ehemann der besten Freundin ihrer Schwester, praktisch ein Mitglied der Familie.
Bei seinem Anblick lächelten sie und begrüßten ihn herzlich, als er zu ihnen trat.
„Da ist er! Der große Beschützer!“
„Den Winter über im sonnigen Griechenland, also wirklich! Du armer Junge, welch schwere Pflicht!“
„Und dabei die ganze Zeit in der Gesellschaft so einer bezaubernden jungen Frau!“
„Das ist schwerer als du dir vermutlich vorstellen kannst“, versicherte Gabriel.
Bei seinem spöttischen Tonfall lachte sein Cousin Lord Lucien Knight, ein ehemaliger Spion. „In mehr als einer Beziehung, wie ich vermute.“
Gabriel ging nicht auf diese Bemerkung ein. Er war dankbar, dass sein Schwager den gesamten Clan eingeladen hatte. Sie gehörten zu den ersten Familien im Reich, sodass sie hier durchaus richtig am Platze waren.
Außerdem hatte Griff gewusst, wie viel es Georgiana bedeuten würde, dass Gabriel all seine Cousins und Freunde noch einmal sah, ehe er auf unbestimmte Zeit nach Griechenland abreiste.
Mit einer beiläufigen Geste deutete er auf den Spieltisch. „Die Doppelgänger spielen nicht zusammen?“
„Nein, bei Kartenspielen dürfen die Zwillinge keine Partner sein“, erklärte Rackford ihm sachlich. „Sie können nämlich die Gedanken des jeweils anderen lesen.“
„Das wäre wirklich nicht fair“, stimmte Damien zu, er war der Ältere der Zwillinge. Als hoch dekorierter Offizier, der in Spanien gekämpft hatte, stand er Gabriel besonders nahe.
Gabriel schlug ihm auf die Schulter. „Spielt um hohe Einsätze, Gentlemen. Ich habe gehört, das Volk von Kavros braucht Straßen und Brücken. “
„Wir werden so hoch setzen, wie unsere Frauen es zulassen“, meinte Lucien mit einem Blick auf seine Karten.
„Aber haltet nur Alec von hier fern“, sagte Strathmore. „Kein Spiel mehr für ihn.“
„Keine Sorge. Seit er damit aufgehört hat, gab es keinen Rückfall“, verteidigte Lucien seinen jüngsten Bruder, Lord Alec Knight.
„Weil er weiß, dass seine Lady ihn aus ihrem Boudoir verbannen würde, wenn er noch einmal die Würfel anrührt“, meinte Rackford lächelnd.
„Wo ist unser liebster Tunichtgut eigentlich?“
„Da ist er!“ Lucien wies auf die Tür.
„Wo?“ Rackford drehte sich um.
„Du hast ihn knapp verpasst.“ Lucien blickte
Weitere Kostenlose Bücher