Die Mitternachtsprinzessin
zu erkennen. An diesem Abend trugen sie anstelle ihrer üblichen schwarzen Tracht traditionelle Gewänder: eine rote Weste, reich bestickt mit Gold- und Silberfäden, darunter ein weißes Baumwollhemd. Darüber hatten sie eine Fustanella geworfen, ein plissierter weißer Männerock, der von einer breiten roten Schärpe gehalten und zu wollenen Kniehosen getragen wurde. Weiterhin hatten sie mit Bändern versehene Strümpfe an und seltsam aussehende Schuhe. Auf ihren Köpfen thronten schlichte runde Kappen aus rotem Filz.
Sophia hatte für sich eine andere Strategie gewählt und auf das traditionelle Gewand ihrer Heimat verzichtet. Um die Großzügigkeit ihrer Gäste anzuregen, hatte sich diese Verführerin in eine veränderte Version antiker Mode gehüllt.
Obwohl Gabriel und die übrigen Soldaten schon im Vorhinein über die Gäste spotteten, die in einer Toga zum Fest kommen würden - zum Glück hatten sie sich in dieser Beziehung getäuscht, denn formelle Abendkleidung war verbreitet -, hatte es ihnen allen die Sprache verschlagen, als sie Sophia an diesem Abend zum ersten Mal sahen. Sie war ganz in durchscheinende weiße Seide gehüllt, sie sah aus wie eine zum Leben erweckte Aphrodite. Ein Lorbeer-kranz krönte ihr Haupt, ein goldener Reif ihren Oberarm. An den Füßen trug sie Sandalen.
Sie musste frieren.
Er konnte es nicht fassen, dass sie sich so gekleidet hatte. Aber mit diesem gewagten Aufzug hatte sie eine Sensation bewirkt, und das war, wie er vermutete, genau das, was die hinreißende junge Prinzessin erreichen wollte.
Er wusste nur, dass ihm die glühenden Blicke der viel zu vielen männlichen Gäste nicht gefielen. Gleichzeitig schalt er sich selbst wegen seiner Eifersucht und der sinnlosen Besitzansprüche. Sie gehörte nicht ihm. Sie würde niemals ihm gehören, wie sehr sein Herz auch dagegen protestieren mochte.
Vielleicht könnte ich wenigstens mit ihr tanzen, überlegte er und dachte zurück an ihren Versuch, ihm das Versprechen für einen Walzer zu entlocken, als er ihr den Fluchtweg durch den Weinkeller gezeigt hatte.
Er hatte abgelehnt, weil er im Dienst sein würde. Aber musste er wirklich so förmlich sein? Die Distanz, die zwischen sie getreten war, seit er seine Besorgnis über einen möglichen Verräter geäußert hatte, veranlasste ihn jetzt dazu, seinen Eigensinn zu überdenken.
Wenn ein Tanz sie glücklich machen und die Harmonie zwischen ihnen wiederherstellen würde, was könnte es dann schaden?
Ja, beschloss er. Ich werde sie um einen Tanz bitten.
Während er zum Ballsaal zurückging, wappnete sich Gabriel gegen ihren Anblick, denn jedes Mal, wenn er sie sah, raubte sie ihm den Atem.
Kronprinz Christian Frederick von Dänemark saß an ihrer Seite und fragte sie nicht sehr unauffällig aus - über ihre Kindheit, ihre Ausbildung, ihre Ansichten über Heim und Familie. Es schien eine Art Gespräch zu sein, wie es heil ratswillige Männer führten, und Sophia wusste, sie sollte nicht allzu gelangweilt dabei wirken.
Der große, schlanke Mann aus dem Norden Europas war perfekt für ihre Zwecke: exzellent aussehend, braunhaarig, zweiunddreißig und auf der Suche nach einer königlichen Braut. Sein Land hatte sogar die Umsicht besessen, neutral zu bleiben, so gut es ging, als Krieg zwischen Napoleon und dem übrigen Europa herrschte. Griechenland und Dänemark, Feuer und Eis, das untere Ende Europas und das obere. Strategisch und in vielerlei anderer Beziehung ergab das sogar Sinn.
Außerdem war der Prinz unleugbar attraktiv.
Falls das Volk von Kavros eines Tages von ihr verlangte, eine vorteilhafte Ehe einzugehen, dann saß, dessen war sie ziemlich sicher, der richtige königliche Kandidat jetzt neben ihr.
Unglücklicherweise konnte Sophia nicht aufhören, den Raum nach einer scharlachroten Uniform abzusuchen.
Wo bist du? dachte sie verzweifelt und hielt Ausschau nach Gabriel. Sie wusste, er ging irgendwo in der Nähe seinen Aufgaben nach, kontrollierte all seine Sicherheitsmaßnahmen. Aber sie hatte ihn seit einer halben Stunde nicht mehr gesehen, und sie stellte fest, dass es sie nach ihm verlangte wie eine Pflanze, die dringend Wasser benötigte.
Vielleicht brauchte sie ihn jetzt nicht gerade als Leibwächter, sondern als den Mann, der bereits Anspruch auf ihr Herz erhoben hatte, ob sie beide es nun so beabsichtigt hatten oder nicht. Sie fühlte sich hin und her gerissen. Sie konnte es sich nicht leisten, den dänischen Prinzen nicht zu bezaubern, aber gegen ihren Willen
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